Papst Benedikt XVI. hebt grüßend und lächelnd die Hände

RAI

Weihnachtssegen ,Urbi et Orbi’

Nach seiner Weihnachtsbotschaft 2012 und Festtagswünschen in alle Welt erbat Papst Benedikt XVI. den Segen Gottes.

Zum Fest der Geburt des Gottessohns verlautbarte Benedikt XVI. seine Weihnachtsbotschaft sowie Festtagswünsche in 65 Sprachen. Anschließend erbat das Oberhaupt der Katholischen Kirche den Segen für die Stadt Rom und den gesamten Erdkreis. Der ORF übernahm live vom Petersplatz.

Die Wahrheit ist aus der Erde hervorgesprosst

Liebe Brüder und Schwestern aus Rom und der ganzen Welt, frohe Weihnachten euch allen und euren Familien!
Meinen Weihnachtsglückwunsch drücke ich in diesem Jahr des Glaubens mit den Psalmworten aus: „Die Wahrheit ist aus der Erde hervorgesprosst.“ Im Text des Psalms finden wir sie allerdings im Futur: „Die Wahrheit wird aus der Erde hervorsprossen.“ – eine Ankündigung, eine Verheißung, die von anderen Aussagen begleitet wird, die im ganzen so lauten:
„Liebe und Wahrheit werden einander begegnen,
Gerechtigkeit und Friede einander küssen.
Die Wahrheit wird aus der Erde hervorsprossen,
Gerechtigkeit vom Himmel herniederblicken.
Der Herr wird gewiss seinen Segen spenden,
und unser Land wird seinen Ertrag geben.
Gerechtigkeit wird vor ihm hergehen,
seine Schritte werden den Weg vorzeichnen.“

Heute hat sich dieses prophetische Wort erfüllt. In Jesus, der in Bethlehem aus der Jungfrau Maria geboren wurde, sind wirklich Liebe und Wahrheit einander begegnet, haben sich Gerechtigkeit und Friede geküsst. Die Wahrheit ist aus der Erde hervorgesprosst, und die Gerechtigkeit hat vom Himmel herniedergeblickt. Mit knappen, treffenden Worten kommentiert der heilige Augustinus: „Was ist die Wahrheit? Der Sohn Gottes. Was ist die Erde? Das Fleisch. Frage dich, woraus Christus geboren ist, und du siehst, warum die Wahrheit aus der Erde hervorgesprosst ist … die Wahrheit ist aus der Jungfrau Maria geboren.“ Und in einer Ansprache zu Weihnachten sagt er: „Mit diesem Fest, das jedes Jahr wiederkehrt, feiern wir also den Tag, an dem sich die Prophetie erfüllte: „Die Wahrheit ist aus der Erde hervorgesprosst, und die Gerechtigkeit hat vom Himmel herniedergeblickt“. Die Wahrheit, die im Schoß des Vaters ruht, ist aus der Erde hervorgesprosst, damit sie auch im Schoß einer Mutter ruhe. Die Wahrheit, welche die ganze Welt trägt, ist aus der Erde hervorgesprosst, damit diese von den Händen einer Frau getragen werde. … Die Wahrheit, die zu fassen der Himmel nicht ausreicht, ist aus der Erde hervorgesprosst, um in eine Krippe gelegt zu werden. Zu wessen Nutzen hat ein so großer Gott sich so erniedrigt? Sicher nicht zu seinem eigenen, sondern zu unserem großen Nutzen, wenn wir glauben.“

„Wenn wir glauben.“ Da sieht man die Kraft des Glaubens! Gott hat alles getan, hat das Unmögliche getan: Er ist Mensch geworden. Seine Allmacht der Liebe hat verwirklicht, was menschliches Verstehen übersteigt: Der Unendliche ist ein Kind geworden, ist in die Menschheit eingetreten. Und doch kann eben dieser Gott nicht in mein Herz eintreten, wenn ich ihm nicht die Türe öffne. Porta fidei! Die Tür des Glaubens! Wir könnten vor dieser unserer umgekehrten Allmacht erschrecken. Diese Macht des Menschen, sich Gott zu verschließen, kann uns Angst machen. Doch da ist die Wirklichkeit, die diesen dunklen Gedanken vertreibt, die Hoffnung, welche die Angst besiegt: Die Wahrheit ist hervorgesprosst! Gott ist geboren! „Das Land gab seinen Ertrag.“ Ja, es gibt eine gute, gesunde „Erde“, frei von jedem Egoismus und jedem Sich-Verschließen. Es gibt auf der Welt eine Erde, die Gott vorbereitet hat, um zu kommen und in unserer Mitte Wohnung zu nehmen. Eine Wohnung für seine Gegenwart in der Welt. Diese Erde existiert, und auch heute, im Jahr 2012, ist aus dieser Erde die Wahrheit hervorgesprosst! Darum gibt es Hoffnung in der Welt, eine zuverlässige Hoffnung, auch in den schwierigsten Momenten und Situationen. Die Wahrheit ist hervorgesprosst und trägt Liebe, Gerechtigkeit und Frieden.

Ja, möge der Frieden hervorsprossen für die Bevölkerung Syriens, die zutiefst verletzt und geteilt ist durch einen Konflikt, der nicht einmal die Wehrlosen verschont und unschuldige Opfer hinwegrafft. Noch einmal rufe ich dazu auf, das Blutvergießen zu beenden, die Hilfeleistungen für die Flüchtlinge und die Evakuierten zu erleichtern und auf dem Weg des Dialogs eine politische Lösung für den Konflikt zu verfolgen.
Möge der Frieden in dem Land hervorsprossen, in dem der Erlöser geboren wurde. Er gebe Israeliten und Palästinensern den Mut, allzu vielen Jahren der Kämpfe und Spaltungen ein Ende zu setzen und mit Entschiedenheit den Verhandlungsweg einzuschlagen.

Mögen in den Ländern Nordafrikas, die auf der Suche nach einer neuen Zukunft einen tiefgreifenden Umbruch erleben – im besonderen in Ägypten, diesem geschätzten und durch die Kindheit Jesu gesegneten Land – die Bürger gemeinsam Gesellschaftsformen aufbauen, die auf die Gerechtigkeit und auf die Achtung der Freiheit und der Würde jedes Menschen gegründet sind.

Der Friede sprosse auch im weiten asiatischen Kontinent hervor. Möge das Jesuskind die zahlreichen Völker, die in jenen Ländern wohnen – und in besonderer Weise jene, die an Christus glauben – mit Wohlwollen betrachten. Der König des Friedens richte ferner seinen Blick auf die neuen Führungspersönlichkeiten der Volksrepublik China, für die hohe Aufgabe, die sie erwartet. Es ist mein Wunsch, dass der Beitrag der Religionen – in der Achtung einer jeden gegenüber – so zur Geltung gebracht werde, dass diese beim Aufbau einer solidarischen Gesellschaft mitwirken können, zum Wohl jenes edlen Volkes und der ganzen Welt.

Das Geburtsfest Christi begünstige die Wiederkehr des Friedens in Mali und der Eintracht in Nigeria, wo grausame terroristische Attentate weiter Opfer fordern, besonders unter den Christen. Möge der Erlöser den Flüchtlingen aus dem Osten der Demokratischen Republik Kongo Hilfe und Trost bringen. Er möge Kenia Frieden schenken, wo blutige Attentate die Zivilbevölkerung und die Gotteshäuser getroffen haben.

Das Jesuskind segne all die vielen Gläubigen, die in Lateinamerika sein Fest begehen. Es lasse ihre menschlichen und christlichen Tugenden wachsen, biete denen, die gezwungen sind, ihre Familien und ihr Land zu verlassen, Halt und stärke die Regierenden in ihrem Einsatz für die Entwicklung sowie im Kampf gegen die Kriminalität.

Liebe Brüder und Schwestern! Liebe und Wahrheit, Gerechtigkeit und Friede sind einander begegnet, haben in dem Menschen, der in Bethlehem aus Maria geboren wurde, Fleisch angenommen. Jener Mensch ist der Sohn Gottes – Gott, der in der Geschichte erschienen ist. Seine Geburt ist ein Spross neuen Lebens für die gesamte Menschheit. Möge jedes Land eine gute „Erde“ werden, welche die Liebe, die Wahrheit, die Gerechtigkeit und den Frieden aufnimmt und zum Sprießen bringt. Allen wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest!

Näheres über den Vatikan:
www.vatikan.va

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gottesdienst@orf.at

Kommentar
Mathilde Schwabeneder

Redaktion
Thomas Bogensberger
Verena Maria Kalenda