die weihnachtlich geschmückte Hedwigskathedrale in Berlin innen

Florian Streibelt

„Das Licht leuchtet in der Finsternis“

Zum Hochfest der Geburt Jesu übernahm der ORF live das feierliche Weihnachtshochamt aus der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin. Mit der Festgemeinde feierte Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki.

Nicht für jeden ist heute der schönste Tag des Jahres. Am Rand unserer wohlhabenden Gesellschaft leben Menschen, die ausgegrenzt sind und keine Perspektiven sehen. Das ist die Finsternis, in der das Licht der Geburt Jesu besonders hell leuchten soll. Weihnachten ist nicht zuerst ein Fest für die, denen es gut geht, sondern für diejenigen, die im Schatten des Wohlstands leben. Den Armen und denen am Rand der Gesellschaft ist Gott in Jesus Christus zuerst erschienen.

Das gilt auch für die Großstadt Berlin, aus der dieser festliche Weihnachtsgottesdienst übertragen wurde. Der Erzbischof von Berlin, Kardinal Rainer Maria Woelki, kennt die Schattenseiten der Gesellschaft auch aus seiner eigenen, konkreten Arbeit. Sie hat er im Blick, wenn er die Texte des Evangeliums in seiner Predigt auslegt.

Sie beginnen alle zu jubeln

1. Lesung: Jesaja 52

Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Rettung verheißt, der zu Zion sagt: „Dein Gott ist König.“ Horch, deine Wächter erheben die Stimme, sie beginnen alle zu jubeln! Denn sie sehen mit eigenen Augen, wie der Herr nach Zion zurückkehrt. Brecht in Jubel aus, jauchzt alle zusammen, ihr Trümmer Jerusalems! Denn der Herr tröstet sein Volk, er erlöst Jerusalem. Der Herr macht seinen heiligen Arm frei vor den Augen aller Völker. Alle Enden der Erde sehen das Heil unseres Gottes.

MUSIK

Josef Rheinberger:
Missa in nativitate Domini

Lasst uns vor ihm niederfallen!

Alle Enden der Erde
schauen Gottes Heil

In dulci jubilo

Sanctus, sanctus

John Rutter:
Angel´s Carol

Nun freut euch, ihr Christen!

O du fröhliche

Jugendkathedralchor St. Hedwig

Kammersymphonie Berlin

Leitung:
Domkapellmeister Harald Schmitt

Orgel:
Domorganist Thomas Sauer

Zu uns gesprochen durch den Sohn

2. Lesung: Hebräer 1

Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten. In dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens, trägt das All durch sein machtvolles Wort, hat die Reinigung von den Sünden bewirkt und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt. Er ist um so viel erhabener geworden als die Engel, wie der Name, den er geerbt hat, ihren Namen überragt.

Denn zu welchem Engel hat er je gesagt: „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“ und „Ich will für ihn Vater sein, und er wird für mich Sohn sein“? Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in die Welt einführt, sagt er: „Alle Engel Gottes sollen sich vor ihm niederwerfen.“

Voll Gnade und Wahrheit

Evangelium: Johannes 1

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.

Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.

Willkommen!

Predigt

Es war ein herzerwärmendes Bild. Hunderte von Kerzen erhellten mitten im November vor dem Brandenburger Tor den Berliner Abendhimmel. Dabei hatte der Advent noch gar nicht begonnen. Diese Kerzen, die da zu sehen waren, bildeten einen großen Stern und die Schrift „Welcome!“ „Willkommen!“. Der Berliner Beitrag zur Caritas-Aktion „Eine Million Sterne“ war ein Zeichen der Solidarität mit den Flüchtlingen in aller Welt. Der Pariser Platz war dabei nicht nur beeindruckende Kulisse. Wenige Wochen zuvor war er Schauplatz für eine dramatische Protest-Aktion. Verzweifelte Flüchtlinge hatten ihn gewählt, um auf die Folgen der europäischen Flüchtlingspolitik aufmerksam zu machen. „Und das Licht leuchtet in der Finsternis“, so haben wir eben im Evangelium gehört. Die Aktion der Caritas „Eine Million Sterne“ war nicht einfach nur eine Solidaritätsaktion, sie war vor allem auch eine weihnachtliche Aktion, weil denen ein Willkommen gesagt wurde, für die in der Herberge kein Platz war. Mittlerweile haben die Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf gefunden. Den Kirchen, Caritas und Diakonie, ist es gelungen, Schutz vor der Kälte zu bieten. Aber damit ist leider noch keines der grundsätzlichen Probleme gelöst.

„Weil in der Herberge kein Platz für sie war“. Das Evangelium der Heiligen Nacht trifft uns mit diesem Satz ganz unmittelbar. Viele von uns haben eine Herbergssuche selbst erlebt oder kennen Flucht und Vertreibung aus der Geschichte ihrer Familie. Die Flüchtlinge nach dem Krieg konnten nicht damit rechnen, Herberge zu finden, willkommen geheißen zu werden. Das Brandenburger Tor, das große Symbol der Freiheit, ist auch Mahnmal: Es erinnert an die, die ihre Heimat verließen, um einem Unrechtsstaat zu entfliehen. Wir stehen – gerade in Berlin – in besonderer Weise in der Tradition des Volkes Israel. Die Erinnerung an unsere Geschichte wird zum Maßstab für unser Handeln: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst. Denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen., so Gottes Gebot im Buch Levitikus.

„Niemand verlässt gern seine Heimat“. Papst Franziskus hat recht, wenn er das so sagt. Dennoch suchen weltweit rund 40 Millionen Menschen eine Herberge. Nur rund 62.000 suchen sie in Deutschland und beantragen Asyl. Trotzdem sind es mehr als in den Vorjahren. Das löst Ängste aus. Nachbarn protestieren gegen Flüchtlingsunterkünfte. Rechte Gruppen schlagen daraus für sich Kapital. Ihren „Das Boot ist voll“-Parolen muss widersprochen werden! Ich weiß aber auch von guter Nachbarschaft: Keine Schlagzeilen machen Flüchtlingsunterkünfte, in denen Nachbarn Sprachkurse anbieten, einen Kinderchor organisieren, für die der Bäcker Brot spendet. Unterstützer begleiten Flüchtlinge zu Ämtern, der Jesuiten- Flüchtlingsdienst verleiht den politischen Forderungen Stimme. Denn eine grundsätzliche Änderung des Flüchtlingsrechts ist geboten, wenn es uns ernst ist, den Fremden willkommen zu heißen.

„Weil in der Herberge kein Platz für sie war“. Der Evangelist Lukas hat mit diesem Satz eine kreative Empörung ausgelöst: Ungezählt sind die Krippenspiele und -lieder über den hartherzigen Wirt oder den kühl kalkulierenden Herbergsvater als Bösewicht. Lukas erklärt, warum Jesus in einer ärmlichen Krippe zur Welt kommt. Für uns wird daraus eine Frage, der wir an Weihnachten nicht entkommen. „Wär‘ Christus tausendmal zu Bethlehem geboren, doch nicht in dir: du bliebst noch ewiglich verloren.“ Angelus Silesius hat es auf den Punkt gebracht: Wie hättest Du gehandelt, hätte die Heilige Familie in Deiner Herberge Platz gefunden? Die Herbergssuche trifft in die Mitte unserer Glaubensüberzeugung. Im Nächsten Christus erkennen und ihn – wie Christus – willkommen zu heißen, ihn zu beherbergen ist Christenpflicht.

„Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt“, heißt es im Hebräerbrief. Angelus Silesius spitzt den Gedanken zu: Vergesst nicht, dass es auch die Heilige Familie, dass es Christus selbst, sein könnte, der Euch um Herberge bittet! „Welcome“, Willkommen, so wie es unter dem Stern am Brandenburger Tor stand, das ist für uns Christen keine „schöne Idee“. Willkommen - das ist die Verpflichtung, die aus der Herbergssuche entsteht. „Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“ Das, liebe Schwestern und Brüder, feiern wir heute: Wir feiern, dass wir Kinder Gottes sein dürfen, dadurch dass wir Christus aufnehmen. Das aber ist nicht nur etwas rein Geistiges. Das will konkret werden, weil Weihnachten konkret ist. Konkret wird das u.a. gerade auch dadurch, dass wir etwa im Flüchtling ihn, Christus, selbst erkennen. Denn an Weihnachten feiern wir doch, dass Gott für uns alle einen Platz hat in seinem Herzen, dass er uns annimmt ohne Ausnahme. Und weil Gott so zu uns ist, darum nur ist es in der Welt Weihnachten geworden.

Nun kommt es darauf an, dass es auch in unseren Herzen Weihnachten wird. Machen wir es wie Gott: Nehmen wir ihn an und mit ihm und in ihm und durch ihn unsere Schwestern und Brüder, besonders die, die in Not sind!

Näheres über die Domgemeinde

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