Evangelische Kirche Rust während eines Gottesdienstes von der Empore aus

Walter Henisch

Der Flug der Störche

Ein Gottesdienst zum Thema Heimat und Migration, live aus der Evangelischen Kirche im burgenländischen Rust. Mit der Gemeinde feierte Pfarrer Frank Lissy-Honegger.

Storch landet auf einem Nest

ORF

wechselt regelmäßig seine Heimat

Wappenvogel und besondere Attraktion von Rust ist der Storch. In der kleinen Stadt am Ufer des Neusiedler Sees ist es jedes Jahr ein besonderes Ereignis, wenn die Störche im März zurückkehren und wieder ihre Quartiere auf den Giebeln und Schornsteinen der Häuser beziehen. „Meister Adebar“ hat dann eine weite und ziemlich gefahrvolle Reise hinter sich - die Winterquartiere der Störche liegen in Zentral- oder in Südafrika. Dennoch entschließen sich die Tiere jedes Frühjahr wieder für Rust.

Die Gemeinde um Pfarrer Lissy-Honegger nahm die Störche zum Anlass, in diesem Gottesdienst über die Wunder und die Verletzlichkeit der Schöpfung zu staunen und auch darüber nachzudenken, was Heimat bedeutet.

Der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege

Lesung: Lukas 9

Es begab sich aber, als die Zeit erfüllt war, dass Jesus hinweggenommen werden sollte.

MUSIK

Gelobet sei der Herr

Radujsja

Hevenu shalom alejchem

Jesus, be a fence

Da wohnt ein Sehnen tief in uns

Bewahre uns Gott
............................................................

family-singers
Chorleitung: Karin Supper

Klarinette: Hadi Nabavi

Tripp-Trapp-Kinder-Chor
Leitung: Fred Ohenhen

Orgel und musikalische Leitung: Mareen Osterloh

Da wandte er sein Angesicht, stracks nach Jerusalem zu wandern. Und er sandte Boten vor sich her; die gingen hin und kamen in ein Dorf der Samariter, ihm Herberge zu bereiten.

Und sie nahmen ihn nicht auf, weil er sein Angesicht gewandt hatte, nach Jerusalem zu wandern. Als aber das seine Jünger Jakobus und Johannes sahen, sprachen sie: „Herr, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle und sie verzehre.“ Jesus aber wandte sich um und wies sie zurecht. Und sie gingen in ein andres Dorf. Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: „Ich will dir folgen, wohin du gehst.“ Da sagte Jesus: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“

Die himmlische Heimat in sich tragen

Predigt

Die Füchse haben Gruben, die Störche ihre Nester. Jesus, der Menschensohn, hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen kann. Gelebt hat er in Israel, vor 2000 Jahren. Auch über Israel fliegen die Störche. Hunderttausende auf dem Weg nach Afrika. Was könnten wir hier über Heimat lernen? Heimat – da ist die Sehnsucht und Suche nach Geborgenheit. Da ist die offene Türe, der Zufluchtsort. Ein Ort der Ruhe. Da könnte man Shalom finden, Frieden im umfassenden Sinn.

Aber in Israel – da sind zwei Völker, für die das Land Heimat ist. Da sind die Israelis und die Palästinenser. Und wie könnte das gut zusammengehen? Sie wissen es nicht, manche ahnen es und bemühen sich darum. Aber in 60 Jahren ist keine tragfähige Lösung gefunden worden. Ich weiß auch nicht, wie beide ihren Platz finden können. Aber tieferes Verständnis für den Gegner, Kennenlernen und ehrliches Gespräch können nicht falsch sein. Gewalt ist schnell und heftig, Alternativen dazu sind langsam, müssen wachsen wie Vertrauen, aber ich sehe dazu keine gute Alternative. Und ich möchte, dass wir Gottes Frieden für alle Verfeindeten herabrufen.

Und der Flug der Störche führt weiter. Sie fliegen über die Grenze zwischen dem Ackerland und der Wüste Negev. Dort sind seit Jahrtausenden zwei Kulturen aufeinandergetroffen: die Sesshaften und die Nomaden. Die, die feste Häuser haben, abgegrenztes Land, Böden, Äcker und Weiden, Drinnen und Draußen, eine Heimat und eine Fremde. Und die, die Heimat in sich tragen, die in der Mitte der Welt wandern. Deren Schafe, Ziegen und Zelte mit unterwegs sind.

Konflikte zwischen beiden sind vorprogrammiert. Aber im Laufe der Jahrtausende lernten die beiden miteinander zu leben, und sie entwickelten das uralte Gesetz des Weidewechsels. Im Herbst, wenn die Randgebiete der Wüste blühen, ziehen die Nomaden in die Wüste und die Bauern säen ihr Getreide. Und im Frühjahr, wenn Hitze und Trockenheit beginnen, ernten die Bauern ihre Felder ab, und die Hirten kommen ins Ackerland und die Herden düngen die Felder. Ganz friktionsfrei ist das selten abgegangen. Aber es war doch eine gute Regelung zu einer friedlicheren Welt. Sie hat sich über Jahrtausende bewährt. Sie hat keine Grenzen befestigt, aber sie hat die Grenzen der Menschen und ihre besonderen Bedürfnisse geachtet. Was für ein Bild von Heimat, in der so verschiedene Lebensformen Platz finden!

Und der Flug der Störche führt weiter, er führt über die Halbinsel Sinai nach Ägypten, den Nil entlang bis tief in den Süden, ja für manche von ihnen bis Südafrika. Afrikanische Klänge erreichen uns. - „Ich bin aus Jamaica, wir sind aus Österreich. Ich bin aus Ahahaha, wir sind aus Ahihihi.“ Weit ist die Welt, und wir dürfen in ihr zu Hause sein. Mit dem Flug der Störche denke ich weit hinaus. Alle Enge lasse ich hinter mir, alles Gefangene. Ein Gefängnis hat nichts Heimatliches für mich. An der Außen-Mauer der Justizanstalt Graz-Karlau habe ich einmal dieses Gedicht eines Insassen gelesen – wirklich, es war eine Kunstaktion:

Denk du doch an das schöne
wo alles rein und gut
ich bitt dich lass mich gehen
jetzt hab ich noch den Mut
willst du mich ganz zerbrechen
dann ist es bald soweit
eins muss ich dir nur sagen
lang hast du nicht mehr zeit

ich habe dich gebraucht
doch jetzt ist es so weit
halt mich nicht fest sei gnädig
denn jetzt bin ich bereit
von wo ich hergekommen
dort will ich nimmer hin
zu hause bin ich dort
wo ich willkommen bin

„Zuhause bin ich dort, wo ich willkommen bin“ – folgend dem Flug der Störche ist uns die Heimat weit geworden. Verschiedene Farben – eine Menschheit. An vielen Orten können wir uns heimisch fühlen – dort, wo wir willkommen sind.

Und Jesus? Jesus ist in Nazareth aufgewachsen, einem kleinen Dorf in Galiläa. Und dann ist er ausgezogen. Jesus hat – in der Zeit seines Wirkens – ein Wanderleben geführt. Die Sesshaftigkeit hat er aufgegeben, Besitz war ihm nicht wichtig. Sein Haus war das Haus von Freunden oder Anhängern, die ihn aufgenommen haben. Wenn er ein Boot betreten hat – es war nicht sein Eigen; als er das Heilige Abendmahl eingesetzt hat, hat er es in einem fremden Saal getan, und noch im Tod hat er kein eigenes Grab gehabt. Immer war er darauf angewiesen, dass einer ihm Haus und Dach angeboten hat, Tisch und Bank, das Brot und den Wein, das Wasser für die Füße und das Lager für die Nacht. Wenn er Menschen satt gemacht hat, hat er sich das Brot reichen lassen müssen. Die himmlische Heimat hat er in sich getragen. Und selbst genannt hat er sich – nicht einen Herrn, nicht einen Bauern, nicht einen König – einen Hirten. So lebt Gott unter uns. Wie ein Hirte. Wie ein Nomade, der seine Herde sammelt und mit ihr unterwegs ist, der sie zu Wasserquellen führt und in der Nacht vor wilden Tieren schützt. Ja, Jesus, du, der gute Hirte, du bist wie ein Zaun, der mich schützt, wie eine feste Burg, „ein’ gute Wehr und Waffen“, Mauern brauchen da keine aufgebaut zu werden.

So lebt Gott unter uns. Immer darauf angewiesen, dass einer ihm Tisch und Bank angeboten hat, das Brot und den Wein, das Wasser für die Füße und das Lager für die Nacht. Und dabei konnte er sorgen – für die Kranken und die an den Rand gedrängten und für alle hatte er das gute Wort aus Gottes Mund. Die himmlische Heimat hat er in sich getragen.

Ich habe Storchenfernsehen. Wenn ich aus meinem Wohnzimmerfenster schaue, sehe ich ein Storchennest. Ich sehe, wie die Eltern sich um ihre Jungen kümmern, sie versorgen, ein Bild der Geborgenheit. Für uns in Rust gehören die Störche einfach dazu. Es gibt einen Verein, der sich um sie kümmert, die Nester werden jährlich desinfiziert, Verletzte werden gepflegt, Seewiesen werden beweidet, weil dort Störche ihre Nahrung finden. Sie sollen sich heimisch fühlen und hier gut leben können. Aber sie sind nur einen Teil ihrer Zeit hier in Rust. Sie sind Zugvögel, fliegende Nomaden. Sie kommen auch immer wieder her, aber ihre Heimat tragen sie in sich.

Evangelisch in Rust

Die Pfarrgemeinde umfasst die Freistadt Rust, wo knapp 40% der Menschen evangelisch sind, sowie die Ortschaften St. Margarethen und Oggau. Nach einer ersten Blütezeit von 1647 bis 1674 wurde die Pfarre nach dem Toleranzpatent neu gegründet. Ihr erster Pfarrer danach, Johann Carl Haynoczi, hinterließ eine wertvolle Bibliothek, die auch eines der wenigen Exemplare der ersten evangelischen österreichischen Agende, der Chyträusagende von 1571, enthält. Es folgten ein Bethaus und eine Schule. Heute steht Rust für ökumenische Weite bei gut eingeführten gemeinsamen Projekten mit der katholischen Pfarre, und die Gemeindeglieder spielen im sozialen und kulturellen Leben der Stadt eine prägende Rolle.

Aktuelles in der Pfarrgemeinde

www.evangnet.at

Kontakt

Evangelische Pfarrgemeinde
Conradplatz 4
7071 Rust
Österreich

gottesdienst@orf.at

Redaktion

Thomas Bogensberger

Bildregie

Verena Maria Kalenda