Hohentwiel

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„Das gönn’ ich dir“

Vom Bodenseedampfschiff Hohentwiel haben ORF2 und ZDF den Evangelischen Gottesdienst übertragen. Mit der Gemeinde feierte Pfarrer Ralf Stoffers.

Die Hohentwiel ist das älteste noch verkehrende Passagierschiff auf dem Bodensee. Pfarrer Ralf Stoffers feierte mit seiner Gemeinde an diesem speziellen Ort Gottesdienst mit Stationen in Österreich, Deutschland und der Schweiz. „Gott weiß, was die Menschen brauchen für ein erfülltes und glückliches Leben“, meint der Bregenzer Pfarrer. Für ihn geht es darum, die Großartigkeit der Schöpfung zu erkennen, Gottes Geschenk auch anderen zu gönnen und weiterzugeben.

Er war verloren und ist wiedergefunden

Lesung: Lukas 15,11

Und Jesus sprach:
Ein Mann hatte zwei Söhne.
Und der jüngere von beiden sprach zum Vater: Gib mir das Erbteil, das mir zusteht
So geschah es.
Kurze Zeit später zog der jüngere Sohn in ein fernes Land
und verprasste alles, was er hatte.
Dann aber kam eine große Hungersnot über jenes Land
und er fing an zu darben und suchte Arbeit.
Daraufhin schickte ihn ein Mann auf seinen Acker,
um die Schweine zu hüten.
Und der Hunger des Sohnes war so groß,
dass er bereit war das zu essen, was die Schweine fraßen.
Aber selbst das war ihm nicht erlaubt.
Da erinnerte er sich an seinen Vater,
bei dem diejenigen, die für ihn als Tagelöhner arbeiteten,
genug zu essen hatten, während er selbst hungerte.
Da sprach er zu sich: Ich will zu meinem Vater zurückkehren und ihm sagen:
Es tut mir leid, Vater!
Ich habe versagt - gegenüber Dir und Gott!
Darf ich zu Dir zurückkehren?
Nicht als dein Sohn,
sondern um als Tagelöhner für Dich zu arbeiten. So machte er sich also auf den Weg zu seinem Vater.

MUSIK

Präludium - Improvisation zu Morgenlicht leuchtet, EG 455

Lied: Morgenlicht leuchtet, EG 455

Lied: As The Deer

Improvisation von Norbert Dehmke

Lied: Laudate

Improvisation von Norbert Dehmke

Lied: Herr, Deine Güte

Improvisation von Norbert Dehmke

Lied: Geh aus mein Herz, EG 503, 13+14

Lied: Möge die Straße

Postludium

Musikalische Gestaltung:

Kirchenchor Hard unter der Leitung von Renate Jenni-Hartlmayr

Lindauer Bläsergruppe unter der Leitung Andreas Baumann

Saxophon und Flöte: Norbert Dehmke

Als er aber noch weit entfernt war,
sah ihn sein Vater, weinte und lachte,
lief zu ihm und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Der Sohn aber brachte seinen Wunsch vor.
Da antwortete der Vater,
indem er zu seinen Knechten sprach:
Bringt schnell das beste Gewand her, zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und schlachtet das gemästete Kalb
und lasst uns essen und fröhlich sein!
Denn dieser mein Sohn war tot
und ist wieder lebendig geworden;
er war verloren und ist gefunden worden.
Und sie fingen an, fröhlich zu sein.
Als dann der ältere Sohn, der auf dem Feld gearbeitet hatte, nach Hause kam und den Gesang hörte und das Tanzen sah, rief er einen der Knechte und fragte, was da los wäre.
Der antwortete: Dein Bruder ist zurückgekehrt,
und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat. Vor Zorn wollte der ältere Bruder nicht hineingehen.
Da kam der Vater zu ihm heraus
und bat ihn, doch hereinzukommen.
Er antwortete seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir
und habe getan, was Du wolltest,
und nie hast Du mir auch nur einen Bock gegeben,
dass ich mit meinen Freunden fröhlich feiern konnte.
Nun aber, da dieser, dein Sohn, gekommen ist,
der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat,
hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. Der Vater aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir
und alles, was mein ist, ist dein.
Du solltest aber auch fröhlich und großen Herzens sein;
denn dieser, dein Bruder, war tot
und ist wieder lebendig geworden,
er war verloren und ist wiedergefunden.

Gott lädt uns alle ein, das Fest des Lebens zu feiern

Predigt

Liebe Gemeinde!

Das kommt in den besten Familien vor:

Der jüngere Sohn hat genug
von einem Leben zwischen heimischen Viehstall und allem, was ihn zuhaus noch einengt. Er will die Freiheit entdecken,
zu seinem persönlichen Höhenflug ansetzen.
Gesagt, getan.
Mit dem Erbe in der Tasche bricht er auf.
Doch schneller als gedacht, sind Geld und Freunde verloren.
Als er sich seiner Situation bewusst wird,
kehrt er reuevoll zum Vater zurück.

Und ebenso wie beim Aufbruch des jüngsten Sohnes legt der Vater ihm auch jetzt, bei der Heimkehr, keine Steine in den Weg. Im Gegenteil:
als er den Sohn zurückkehren sieht, hält ihn nichts mehr.
Er stürzt vor Freude über dessen Rückkehr zu ihm hinaus, heißt ihn willkommen!

Darüber ärgert sich der ältere Sohn maßlos.
Er, der beim Vater geblieben und treu und redlich seiner Arbeit nachgegangen ist,
ist empört, zornig, wütend.
Wie kann einer, der erst den familiären Besitz verringert, indem er sich sein Erbe auszahlen lässt und dieses dann verprasst, mit einer Party belohnt werden?
Er versteht weder den Vater noch den jüngeren Bruder.
Was er aber weiß, ist: Das Leben ist ungerecht! Wie finden Sie diese Geschichte?
Und hegen Sie für einen der drei besondere Sympathie?

Vielleicht für den jungen Mann,
der sich eingesperrt und eingeengt fühlt,
erdrückt von den Pflichten des Alltags
und den Ansprüchen, die an ihn gestellt werden?.
Ein Gefühl, das mir bisweilen vertraut ist ….
wenn die Arbeit nicht weniger wird … trotz allen Einsatzes …

wenn ich mich auf einen ruhigen Abend freue und dann beim Öffnen der Haustür höre, wie unsere Jungs leidenschaftlich ihrer Pubertät frönen …
wenn ich mich richtig über jemanden geärgert habe …
Dann möchte ich am liebsten einfach die Tür zuschlagen,
mir eine Auszeit gönnen …

um abzutauchen …
um bei einem Kaffee in Ruhe Zeitung zu lesen …
um Dinge machen zu können und nicht zu müssen …

Jetzt im Sommer würde ich z.B. gern eine gemütliche Reise mit einem Oldtimer-Cabrio oder einem Hausboot machen,
bei der ich Land und Leute kennenlernen
und keine Rücksichten nehmen muss …
mir den Tag so einteilen kann, wie es mir gefällt …

Aber, hey, … wenn ich mich hier an Bord umschaue und einatme, dann spüre ich auch einen Hauch von Freiheit.

Der Bodensee, die Sonne, die sich im Wasser spiegelt, der weite Horizont, das Sommer-Grün der Bäume und Wiesen … die Abtei der Mehrerau hüben,
der Pfänder drüben, die Ufer-Promenade in Bregenz,
Lochau, Lindau …
Wie ein lautes Signal (Horn!)
Wie Rauch aus einem Schornstein! (Dampf ablassen?)

Seht her, sagen sie, wir arbeiten tagein-tagaus.
Wir sind fleißig, treu und ehrlich,
legen Wert auf Ordnung und Sicherheit, haben uns nichts zuschulden kommen lassen.
Wir meckern nicht wegen Überstunden
oder wegen anderer Dinge, die uns nicht gefallen (höchsten ein bisschen, im Rahmen, das ist wichtig!).
Wir haben unsere Vorstellungen und Werte.
Daran orientieren wir uns. Und das ist gut so.
Da weiß man nämlich, was man hat.
Wir sind verlässlich, auf uns kann man sich verlassen.
Wenn’s anders wäre, ginge ja alles drunter und drüber.
Wir sind die Stützen der Gesellschaft/des Systems.

Da können wir dann aber ja wohl erwarten,
dass wir auch bekommen, was uns zusteht, oder?!
Wenn dem nicht so ist, oder aber jemand,
der anders arbeitet oder lebt oder spricht oder glaubt,
genauso - oder gar besser - behandelt wird wie wir,
dann werden wir schnell ungemütlich!
Wir können auch anders!

Dann liest oder hört man schnell:

Wer was „vergeigt“ hat, muss auch die Konsequenzen tragen!
„Jeder ist seines Glückes Schmied!“
„Hast Du was, bist Du was! Hast Du nichts, bist Du nichts!“
„Ausländer wollen nur die Sozialsysteme plündern“
„Wozu braucht ein Flüchtling ein Handy?“

Hinter solchen Sätzen, liebe Gemeinde, stehen oft Angst, Neid und Verbitterung! Und die Heftigkeit der Gefühle, die diesen Gedanken und Sätzen zugrunde liegen, steht im Widerspruch zur Feigheit,
dass sie nur zu oft und zu gern hinter Andeutungen, als als Fragen getarnte Unterstellungen
und in der Anonymität des Internets vorgebracht werden …
(Man wird doch wohl noch sagen dürfen? –
Ja darf man schon, aber bedenkt, was ihr mit diesen Worten anrichtet)

Dass dann neidisch auf den geschaut wird, der sich was gönnt, und das Gute, das man selbst ja auch hat,
einfach nicht mehr gesehen wird, liegt auf der Hand.
So wie der ältere Bruder im Gleichnis.
Und so mag’s jetzt auch jemanden gehen,
der uns hier an Bord der Hohentwiel Gottesdienst feiern sieht. Irgendwo denkt/schreibt jetzt wer vielleicht:
Was brauchen die so`n Luxus-Kahn für´n Gottesdienst?
Reicht jetzt nicht mal mehr ´ne normale Kirche?
Haben die zu viel Geld?

Und der unausgesprochene Nachsatz lautet:
Warum sieht mich niemand und kümmert sich um mich?

Genau wie der ältere Sohn im Gleichnis,
der meint, dass der Vater ihn zu wenig beachtet hat, und diesen Vorwurf in der Kritik am Bruder verpackt.

Ich wünsche mir, dass wir alle, hier wie da, lernen, hinter die Fassaden zu blicken.
Um zu entdecken, was ein Mensch durchgemacht und wie viel Kraft ihn oder sie der Weg gekostet hat oder wieviel Scham, Angst oder Stolz er oder sie überwinden musste. Der Vater im Gleichnis, der konnte das -
um ihn wird es gleich gehen. Werfen wir noch einen Blick auf den Vater.
Ich finde sein Verhalten beeindruckend.
Er hat ein Herz für beide Söhne.

Jesus erzählt seinen Zuhörern dieses Gleichnis und macht ihnen klar: so wie dieser Vater so ist Gott.

Einer der mit großzügigem Herzen gönnen kann.

Denn menschliches Leben kann und darf man nicht vergleichen - weder im Guten noch im Schweren.
Auch das lässt Jesus seine Zuhörer wissen.
Jeder Mensch ist in seiner jeweiligen Situation zu sehen.
Jeder Mensch ist in erster Linie Mensch
und nicht die Summe dessen, was er geleistet hat.
Oder was er falsch gemacht hat.

Und ich überlege mir,
was das für mich heißen könnte?
Vielleicht sollte ich probieren, großzügiger zu sein …
mir selbst gegenüber, wenn Arbeit und an mich herangetragene Ansprüche mich überrollen wollen … einfach mal den Ausbruch wagen …wenn Menschen mich ‚nerven‘, weil ich genervt bin,
in der Arbeit oder auch daheim … werde weiterhin meine beiden Söhne weiterhin lieben, auch wenn sie mir in ihrer Pubertät schrecklich auf die Nerven gehen.

Vielleicht stünde uns als Einzelnen aber auch als Gesellschaft insgesamt mehr Großzügigkeit gut zu Gesicht.

Großzügigkeit gegenüber uns selbst, und auch denen gegenüber, die es - nach unserem Dafürhalten - gar nicht verdienen.
Ich z.B. möchte auch großzügig sein können, wenn mich jemand gekränkt oder enttäuscht hat, das ist oft gar nicht so leicht.

Apropos Großzügigkeit, was ist denn so schlimm,
wenn jemand anders ist oder lebt als ich, eine andere Sprache spricht. Und was ist so schlimm daran, wenn jemand eine andere Lebenseinstellung hat, selbst wenn die mich zunächst befremdet.

Weil eben jeder anders ist, was anderes braucht.
Weil menschliches Leben nicht verglichen werden kann.

Gott lädt uns alle ein,
das Fest des Lebens zu feiern.
Mit seiner Liebe,
die wie die Liebe des Vaters im Gleichnis,
kein gerechtes Maß kennt,
sondern sich aus sich selbst erhebt über das,
was sich „gehört“ oder als „gerecht“ gilt.
Mit seiner Liebe,
die immer das Gute will, das, was dem Leben dient.
Mit seiner Liebe lädt Gott auch uns ein, das Leben zu feiern!
Immer wieder neu! So wie heute an Bord der Hohentwiel!
Er gönnt uns das!
Amen.

www.evang-kirche-bregenz.at

Bildregie: Thomas Bogensberger

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