Gebetbücher geben Einblick in den Alltag in Byzanz
Die zum Teil sehr alten Bücher bieten Einblicke in die christliche mittelalterliche Gesellschaft von Byzanz. Da geht es etwa um den ersten Bartwuchs, Lernprobleme und ums Käsemachen. „Geschrieben wurden die Gebetbücher für den Gebrauch von Priestern, gelegentlich enthalten sie auch Notizen von deren Besitzern“, sagte Claudia Rapp, Professorin für Byzantinistik an der Universität Wien und Leiterin der Abteilung Byzanzforschung am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), gegenüber der APA.
Bisher wenig beachtete Manuskripte
Die Wittgenstein-Preisträgerin 2015 erforscht in dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt „Alltag und Religion: Byzantinische Gebetbücher als sozialgeschichtliche Quelle“ diese unscheinbaren, kaum dekorierten Manuskripte, die bisher weder von der Schriftkunde noch von der Kunstgeschichte beachtet wurden.
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Das älteste handschriftlich erhaltene Gebetbuch stammt aus dem späten achten Jahrhundert und liegt in der Vatikan-Bibliothek. So wie das Gros der Handschriften aus byzantinischer Zeit stammen auch die meisten Gebetbücher aus dem 12. bis 14. Jahrhundert. Selbst in späteren Jahrhunderten, also auch nach Einführung des Buchdrucks, wurden sie handschriftlich kopiert. „Für unser Projekt setzen wir einen Endpunkt mit dem Jahr 1650, dem Erscheinen einer maßgeblichen Druckausgabe eines Gebetbuchs“, so Rapp.
460 Gebetbücher bald zugänglich
Der genaue Umfang des Bestands sei noch unklar, die Kataloge der Handschriftenbibliotheken oft ungenau. Die Byzantinistin rechnet mit mindestens 2.000 Manuskripten, die in dem Projekt erforscht werden sollen. Mittlerweile ist der Bestand an Handschriften in der - in Zukunft auch öffentlich zugänglichen - Datenbank auf 460 Gebetbücher gewachsen.
Byzanzforschung/ÖAW
Die Gebetbücher, die griechische Bezeichnung lautet „Euchologion“, bestehen aus zwei Teilen. Im ersten Teil stehen Messliturgien sowie Riten für Hochzeit, Taufe und Begräbnis, die bereits liturgiewissenschaftlich untersucht werden. Die Byzantinisten interessieren sich für die „kleinen Gebete“ im zweiten Teil der Gebetbücher.
Veranstaltungshinweise
- Öffentlicher Vortrag von Claudia Rapp und dem Forschungsteam zum Thema „Alltag in Byzanz. Gebetbücher als Spiegel des täglichen Lebens“ am 7. April, 19.00 Uhr, Otto-Mauer‐Zentrum, 1090 Wien, Währinger Straße 2‐4
- Workshop „In Church and at Home: Byzantine Religious Life, its Sources and their Study“, 7. bis 9. April, Anmeldung online
Gebete für Anliegen des täglichen Lebens
Diese beziehen sich auf alle möglichen Anliegen des täglichen Lebens: Es gibt sie für die Landwirtschaft, etwa den Almauftrieb im Frühsommer und die Weinernte, für Naturkatastrophen wie Erdbeben und Dürre, für die Bildung, etwa den ersten Schultag und bei Lernschwierigkeiten, für Familienereignisse wie eine Geburt und selbst für die priesterliche Segnung einer brüderlichen Beziehung zwischen zwei Männern. Dieses Phänomen, das in dieser Form nur aus Byzanz bekannt ist, habe sie in ihrem gerade erschienenen Buch untersucht, so Rapp in einem Erklärtext auf der Website der ÖAW.
Je nach Zeitepoche und Region, in denen diese Manuskripte erstellt wurden, unterscheiden sich die Anliegen und Abfolgen der Gebete erheblich. In der Datenbank wollen sie die Wissenschaftler in ihrer historischen Entwicklung und regionalen Spezifizität über einen Zeitraum von neun Jahrhunderten erfassen.
religion.ORF.at/APA
Mehr dazu:
- „Austro-Nobelpreis“ an Byzantinistin Rapp (science.ORF.at; 9.6.2015)