Missbrauch: Wie die katholische Kirche Kleriker bestraft

Viel Kritik gibt es am Umgang der römisch-katholischen Kirche mit Missbrauchstätern in den eigenen Reihen: Schließlich wurden sie lange Zeit vom Klerus geschützt. Mittlerweile müssen sie sich zunehmend vor den kirchlichen und weltlichen Strafgerichten verantworten.

Der Fall fachte im vergangen Jahr die Debatte über Missbrauch in der katholischen Kirche erneut an: Theodore McCarrick, der ehemalige Erzbischof von Washington, wurde des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Der Kleriker, der sich nicht zuletzt als engagierter Kämpfer gegen Missbrauch einen Namen gemacht hatte, soll mindestens zwei Minderjährige missbraucht haben. Die Vorwürfe dürften dem Vatikan schon seit 2004 bekannt sein. Die volle Härte des Kirchengesetzes bekam McCarrick allerdings erst viel später zu spüren: Wie der Vatikan kurz vor der Kinderschutzkonferenz bekanntgab, entließ Papst Franziskus McCarrick aus dem Klerikerstand.

Einmal geweiht, immer geweiht

Die Entlassung ist die Höchststrafe, die das Kirchenrecht für Kleriker vorsieht: Der Betroffene verliert damit alle mit der Weihe verbundenen Rechte - und zwar für immer. Ob Diakon, Priester, Bischof oder Kardinal: „Er bekommt kein Geld mehr, muss natürlich die Dienstwohnung räumen und ihm ist untersagt, das zu tun, was er als Kleriker tun durfte“, sagte der Kirchenrechtsexperte Ludger Müller im Gespräch mit religion.ORF.at.

Wer einmal geweiht wurde, dem kann man das Sakrament zwar nicht mehr nehmen. Doch etwa eine Messe zu feiern und Sakramente zu spenden sind dem Geistlichen mit der Versetzung in den Laienstand strikt verboten. „Es gilt eine Ausnahme, wenn ein Christ in Todesgefahr schwebt“, dann kann auch ein aus dem Klerikerstand entlassener Geistlicher etwa die Beichte abnehmen, so Müller.

Entlassung kostet Kirche Geld

Zuletzt haben sich die Meldungen über die Entlassung von Klerikern, denen glaubhaft Missbrauch vorgeworfen wird, gemehrt. In Chile, wo im vergangenen Jahr ein Missbrauchsskandal aufgedeckt worden war, wurden der Priester Fernando Karadima, der frühere Erzbischof Francisco Jose Cox Huneeus und der ehemalige Bischof Marco Antonio Ordenes Fernandez mit der höchsten Kirchenstrafe belegt.

Die Entlassung von Klerikern ist für die Diözesen allerdings mit Kosten verbunden, sagte Kirchenrechtsexperte Müller zu religion.ORF.at. „Die Kirche muss dann auf einen Schlag für den Priester die Pensionsbeiträge nachzahlen.“ Da die Geistlichen ihre Pensionsansprüche gegenüber der Kirche mit der Entlassung verlieren, müsse die Kirche nach weltlichem Recht die Priester in das „staatliche Pensionssystem einordnen“, sagte Müller. Das bedeutet, für die Jahre, die der Priester im diözesanen Dienst war, muss die Kirche nachzahlen. „Das kann für eine Diözese, die in finanziellen Schwierigkeiten ist, gefährlich werden, wenn mehrere Priester gleichzeitig rausfallen.“ Oftmals versuche die Diözese zudem, den Tätern weiterzuhelfen, etwa indem ihnen eine andere Ausbildung finanziert werde.

Der US-Kardinal Theodore McCarrick

Reuters/Max Rossi

Theodore McCarrick - einst hochrangiger Kleriker, jetzt Laie

Verstoß gegen das sechste Gebot

Grundlage für die Sanktionen ist der Codex des kanonischen Rechts (CIC). Das Kirchenrecht sieht schon lange Strafen für Missbrauch durch Kleriker vor und adaptierte die Regeln im Laufe der Jahre immer wieder. Schon im Codex von 1917 fand sich eine Bestimmung, die sexuelle Übergriffe im Rahmen der Beichte unter Strafe stellte, 1922 wurden diese Normen weiter angepasst.

1983 trat unter Papst Johannes Paul II. ein überarbeiteter Codex in Kraft, der Strafen für Missbrauch umfassender regelte. So heißt es im Strafrechtskanon 1.395, Paragraf 2, der sich auf das sechste Gebot (Du sollst nicht ehebrechen) bezieht: „Ein Kleriker, der (...) gegen das sechste Gebot des Dekalogs verfehlt hat, soll, wenn nämlich er die Straftat mit Gewalt, durch Drohungen, öffentlich oder an einem Minderjährigen unter sechzehn Jahren begangen hat, mit gerechten Strafen belegt werden, gegebenenfalls die Entlassung aus dem Klerikerstand nicht ausgenommen.“

Anzeige von Straftätern

2001 wurden die Bestimmungen erneut angepasst: Das Alter wurde von 16 auf 18 angehoben, die Verjährungsfrist von zehn Jahren (Laufzeit ab dem 18. Geburtstag des Opfers) festgesetzt. 2010 wurden die Bestimmungen nochmals überarbeitet, die Verjährungsfrist auf 20 Jahre angehoben und Missbrauch von Menschen mit geistiger Behinderung dem Missbrauch von Minderjährigen gleichgesetzt.

Dass die Kirche mit ihrem Rechtssystem nicht das nationale Strafrechtssystem ersetzen soll, darauf lässt ein Schreiben der Glaubenskongregation aus dem Jahre 2010 schließen. Darin wird erinnert: „Die staatlichen Gesetze hinsichtlich der Anzeige von Straftaten bei den zuständigen Behörden sind immer zu befolgen.“ Die Täter wurden den Behörden in der Vergangenheit in der Regel nicht gemeldet.

Fernando Karadima, des sexuellen Missbrauchs verurteilter chilenischer Priester

Reuters/Carlos Vera

Fernando Karadima (Chile) wurde wegen sexuellen Missbrauchs entlassen

Rückzug und Buße

Die Entlassung aus dem Klerikerstand ist nur die höchste, nicht die einzige Sanktion für Missbrauchstäter. Das Kirchenrecht sieht unterschiedliche Strafen vor: etwa das Gebot oder Verbot, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Klerikern könne zum Beispiel angeordnet werden, sich in ein kirchliches Haus zu begeben, wo sie unter Beobachtung stehen, sagte Müller.

Auch eine Strafversetzung auf ein anderes Amt ist möglich - eine Sanktion, die in der Vergangenheit oft still angewandt wurde, den Vertrauensverlust in die Kirche allerdings vorantrieb. Denn Missbrauchstäter hatten in ihrem neuen Amt oftmals weiterhin die Möglichkeit, Kinder und Jugendliche zu missbrauchen. Wenn Priester ihren Dienst weiter verrichten dürfen, werden sie mittlerweile dort eingesetzt, wo sie keinen Kontakt zu Minderjährigen haben - etwa in der Altenseelsorge.

Einen Kleriker, der sich des Missbrauchs schuldig gemacht hat, abzusetzen ist eine weitere Sanktionsmöglichkeit, die das kanonische Recht vorsieht. Ihn abzusetzen ist allerdings nicht das Gleiche wie ihn in den Laienstand zu versetzen. So kann etwa ein Diözesanbischof sein Amt verlieren, kann aber weiterhin ein Kleriker - mit allen Rechten und Pflichten - bleiben, falls diese nicht zusätzlich eingeschränkt werden.

Exkommunikation nicht vorgesehen

Immer wieder wird auch kirchenintern der Ruf nach der Exkommunikation von Missbrauchstätern laut, eine Maßnahme, die für jeden Gläubigen zweifelsohne die härteste aller kirchlichen Strafen darstellt. Nicht nur wäre dadurch Klerikern verboten, kirchliche Ämter zu bekleiden sowie an gottesdienstlichen Feiern mitzuwirken und Sakramente zu spenden. Den Betroffenen wäre es auch verboten, selbst Sakramente zu empfangen - etwa die Kommunion.

Die Exkommunikation ist bei Missbrauch allerdings nicht vorgesehen, da es sich dabei um eine sogenannte Beugestrafe handelt, die nur solange aufrechterhalten werden darf, bis der Betroffene sich beugt, also bessert oder glaubhaft Besserung gelobt. Im Gegensatz dazu stehen Sühnestrafen - wie die Entlassung aus dem Klerikerstand - die in erster Linie der Sanktionierung der Täter dienen sollen.

Kirchliche Gerichte entscheiden

Wie in weltlichen Gerichten finden auch in der katholischen Kirche Strafverfahren mit Richtern, Anwälten und Anklägern statt. Bei Missbrauchsfällen ist die vatikanische Glaubenskongregation zuständig. Bischöfe müssen ihr alle glaubhaften Fälle von Missbrauch durch Kleriker in ihrem Verantwortungsbereich melden.

Die Entscheidung, wie dann zu verfahren ist, trifft die Glaubenskongregation. Sie kann selbst ein Verfahren durchführen oder die Ortskirche damit beauftragen. In besonders schweren Fällen, bei denen die Straftat offenkundig ist, kann der Papst die Entscheidung über die Entlassung aus dem Klerikerstand oder die Absetzung direkt fällen. Seit 2016 soll auch härter gegen jene Kleriker vorgegangen werden, die Missbrauch vertuschten, wie es über Jahrzehnte hinweg geschehen ist. Ihnen droht mittlerweile die Absetzung.

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

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