Adventkranz mit einer angezundenen Kerze

Marco Uschmann epd

„Im Licht der Versöhnung gesehen“

Am ersten Adventsonntag übertrug der ORF live aus der Versöhnungskirche in Linz einen festlichen Ökumenischen Gottesdienst. Mit der Gemeinde feierten Bischof Manfred Scheuer und Michael Bünker - der Ökumene-Bischof der Bischofskonferenz und der Bischof der Evangelischen Kirche A.B.

Der erste Advent ist der Beginn einer Zeit der Erwartung, der Hoffnung. Und in Linz wurde er ökumenisch begangen. Mitglieder von vier Gemeinden, einer katholischen, einer evangelischen A.B., einer evangelischen H.B. und einer evangelisch-methodistischen, feierten gemeinsam. Der Beginn des Evangelischen Jahres des Glaubens sowie des Reformationsjubiläums 2017.

Zu Beginn des Gottesdienstes wurde der große diakonische Adventkranz fertiggestellt, dann die erste Kerze entzündet. Mit dem Segen am Ende des Gottesdienstes gaben die Feiernden das Licht der Versöhnung aneinander weiter und trugen es dann in die Welt hinaus.

Die Bischöfe Scheuer und Bünker predigten gemeinsam. Ökumenisch waren auch das Vokalensemble und der Kinderchor. Weiters dabei waren Thomas Hennefeld, der Evangelische Landessuperintendent H.B., Stefan Schröckenfuchs, Superintendent der Evangelisch-Methodistischen Kirche, Ortwin Galter, Pfarrer der Evangelischen Versöhnungskirche, Dieter Reutershahn, der Pfarrer der katholischen Nachbarspfarre sowie Veronika Obermeir, die Pfarrerin der Evangelischen Stadtpfarrkirche Linz.

Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist

Psalm 24

Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. Denn er hat ihn über den Meeren gegründet und über den Wassern bereitet.

MUSIK

Macht hoch die Tür,
die Tor’ macht weit!

O Heiland, reiß die Himmel auf!

Machet die Tore weit!

Die Nacht ist vorgedrungen

Werdet Licht!

Mache dich auf!

Orgel: Marina Ragger

Domkapellmeister: Josef Habringer

Musikalische Leitung:
Diözesankantorin Franziska Leuschner

Wer darf auf des Herrn Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lüge und nicht schwört zum Trug, der wird den Segen vom Herrn empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heiles. Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt, das da sucht dein Antlitz, Gott Jakobs. Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! Wer ist der König der Ehre? Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit. Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! Wer ist der König der Ehre? Es ist der Herr Zebaoth; er ist der König der Ehre.

Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk

1. Lesung: Jesaja 2

Das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, in einer Vision über Juda und Jerusalem gehört hat. Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker.

Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie sagen: "Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort.

Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht. Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg. Ihr vom Haus Jakob, kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn.

Dein König kommt zu dir sanftmütig

2. Lesung: Matthäus 21

Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: "Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr. Bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: „Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.“ Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers!“

Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: „Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“

Wie trifft er uns an?

Predigt

Bischof Bünker
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und von Jesus Christus, dem Friedenskönig, der zu uns kommt! Liebe adventliche Eselinnen und Esel – nein, wenn ich euch so begrüße, dann ist das keine Beschimpfung und Herabwürdigung, sondern ein besonderer Auftrag, ja ein Ehrentitel. Wenn Jesus in Jerusalem einzieht, wenn er zu dir und mir kommt, dann tut er das nicht auf einem streitbaren Ross oder einem schnaubenden Hengst, sondern auf einem Esel. Dem alltäglichen Last- und Arbeitstier. Martin Luther hat das so gedeutet, dass der Esel, auf dem Jesus reitet, der Jesus zu den Menschen bringt, jeder Christ und jede Christin ist und dass es die Kirchen sind, die den Heiland so in die Welt und zu den Menschen tragen. Es ist ja unser Auftrag, ihn, den Erlöser mit seiner Sanftmut, in die Welt zu tragen. Daher ist es ein besonderer Ehrentitel, wenn ich sage: Liebe Eselinnen und Esel!

Seltsam, wie hier die damals wie heute gewohnten und vertrauten Rangordnungen umgekehrt werden. Plötzlich stehen die Niedrigen ganz oben, die, die üblicherweise im Schatten stehen, treten ans Licht und die am Rand rücken in die Mitte, weil der, der da kommt und in ihre Stadt einzieht, sich selbst an ihre Seite stellt und einer von ihnen wird.

Wie trifft er uns an? Wie findet er uns vor? Unsere Kirchen, durch Jahrhunderte zerstritten und deshalb heute umso dankbarer für das neugewonnene Miteinander, aber manchmal doch eher störrische Esel, was ihren Auftrag angeht. Unser Land, in dem die Gegensätze sich zuspitzen und vergrößern, der Ton sich verschärft, Hass und Ablehnung offen geäußert werden und das Miteinander vergiftet ist. Unsere Welt, gejagt und gehetzt von rasanten Entwicklungen, die scheinbar ungesteuert ablaufen, uneinig in dem, was dem Frieden dient, unentschlossen in der Bewahrung der Schöpfung, uneinsichtig, wenn es um Recht und Würde für alle, um Gerechtigkeit für jeden und jede geht.

Wer heute gewinnen will, muss laut und polarisierend sein, verletzend in der Konfrontation und gnadenlos zu den anderen und zu sich selbst. Und dann kommt dieser König Sanftmut, der erste und einzige, und wir sehen schlaglichtartig, in welcher Situation wir uns befinden.

Dieser sanftmütige Eselsreiter ist der menschgewordene Gott unter uns. Sein Ort ist nicht oben und nicht vorne, sondern mitten unter den Geringen. Dieser Bettelkönig Christus – so sagt es Luther – dieser Bettelkönig ist es, der der Welt und jedem Menschen die Erlösung bringt. Anspruchsvoll wie ein König und anspruchslos wie ein Armer. Heil und Leben.

Bischof Scheuer
Es gibt keinen würdigeren Bettler als Gott. In Jesus, dem Bettelkönig, schreibt Gott das Hoheitszeichen seiner Liebe und Würde auf die Stirn eines jeden Menschen, des Freundes und Feindes, des Armen und Geringen. Es ist uns versagt, von uns selbst, von den anderen, von den Schwachen gering und verächtlich zu denken. Wir würden Gott selbst verachten und ihn gering schätzen. Umjubelt zieht Jesus nach Jerusalem ein, die Begeisterung scheint keine Grenzen zu kennen. Die Menge singt und schreit. Kaum zu glauben, dass eben dieser gefeierte Jesus ein paar Tage später einsam, verlassen und entwürdigt den Tod am Kreuz erleiden wird. Wie nahe liegen Jubel und Trauer, Zuversicht und Schrecken, Leben und Tod bisweilen beieinander.

Zwischen diesen Extremen ist unser Alltagsleben ausgebreitet. Der Alltag ist der Ort, an dem Gott als Bettler in unserem Leben um Einlass bittet. Gott begegnet uns in der Wirklichkeit, er umarmt uns durch die Wirklichkeit. Freuen wir uns heute noch über die Geburt eines Kindes, müssen wir morgen schon den Tod eines lieben Freundes betrauern. Alkoholismus, Gewalt in den Familien, Rücksichtslosigkeit am Arbeitsplatz konterkarieren das Bild von der heilen kleinen Welt. Menschen auf der Flucht vor Krieg und Terror treffen auf Gesellschaften, die diese Phänomene aus eigener Erfahrung nicht kennen.

Während sich in unserer Kultur vielfach eine Gottvergessenheit breit macht, erleben wir gleichzeitig ein vermehrtes Ringen und Suchen nach den letzten Wahrheiten. Wenn wir Christinnen und Christen heute in guter ökumenischer Verbundenheit unseren gemeinsamen Glauben an Jesus Christus feiern, so wird uns dabei auch schmerzlich bewusst, dass jahrhundertelang ein Klima der Abgrenzung und der gegenseitigen Anfeindung vorherrschte. So mag uns der Einzug Jesu in Jerusalem auch Folgendes sagen: Die Freude über die wiederentdeckte ökumenische Verbundenheit hat ihre Berechtigung. Wir feiern aber in einem Bewusstsein, dass dieses Miteinander keine Selbstverständlichkeit ist, sondern ein kostbares Gut. Und in diesem Bewusstsein wollen wir verstärkt gemeinsame Wege gehen, wenn es um die Einmahnung der Menschenwürde und das Auftreten gegen Diskriminierung, Hass und Intoleranz geht. So werden wir als echte Zeuginnen und Zeugen der Barmherzigkeit wahrgenommen, wie es die gemeinsame ökumenische Erklärung von Lund auf den Punkt gebracht hat. Daran werden wir gemessen.

Der französische Historiker Jules Isaac verlor Frau und Tochter in Auschwitz, nur weil sie Isaac hießen. Isaac beschäftigte sich intensiv mit der Lehre der Verachtung, mit dem Verhältnis von Verachtung und Gewalt. Schrittweise rechtfertigt Verachtung Gewalt und dann den Krieg. Isaac meint, dass die Verachtung in Wertschätzung und Dialog verwandelt werden muss.

Die adventliche Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja hat eine große Vision für uns parat: Jerusalem wird der Schauplatz der großen Völkerverständigung sein: „Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg.“

Ja, wer wollte das nicht, ein Ende der unseligen Verstrickungen von Krieg, von Völkerhass und Fanatismus? Wer wollte das nicht angesichts der ungezählten Kriegsschauplätze, der Vertreibungen und Verelendungen von Millionen von Menschen. Andererseits - wie schwer fällt es oft schon im engsten Umfeld, Frieden zu stiften, jeglicher Gewalt eine Absage zu erteilen? Mobbing, Ausgrenzung, jemanden lächerlich machen – das geschieht im Kleinen schneller, als uns lieb ist. Oft genügt ein falsches Wort, um eine Kettenreaktion an Erniedrigung und Demütigung auszulösen. Die Vision aus dem Jesajabuch bleibt jedoch der Maßstab, der für uns Christen in der Person Jesus von Nazareth in unmissverständlicher Form zugespitzt wurde: Er und seine Botschaft waren eins – und die Botschaft lautete: Das Reich Gottes ist nahe.

Diese unerhörte Zusage kann uns gerade im Advent, der Zeit des Wartens, unruhig und zuversichtlich zugleich machen und eine Spiritualität des Friedens fördern. Diese geht zuallererst mit einer Abrüstung des Denkens einher. Eigene Verfolgungsängste und Hassgefühle sollen aufgearbeitet, Feindbilder abgebaut und Vorurteile hinterfragt werden. Die Abkehr davon, sich und die eigene Meinung absolut zu setzen, fördert eine Kultur des Respekts und der Versöhnung.

An der Wurzel von Krieg und Terror stand und steht nicht selten die Vergötzung von Heimat und Landbesitz, von Nation, von Ethnie und einer exklusiv verstandenen Religion. Diese Götzen zu entlarven und dagegen Gott als den Urgrund von allem, als den Urgrund von Frieden und Versöhnung zu verkünden, ist ein wesentlicher Auftrag für uns. Breiten wir unsere Kleider vor dem Friedenskönig aus! Gott klopft an die Tür und bittet um Einlass. Er kommt anonym, überraschend, enttäuschend, als Zumutung und als große Gabe.

Bischof Bünker
Der Einzug Jesu fordert uns heraus. Er fordert uns heraus, der Verachtung und Missachtung von Menschen, von Minderheiten, von anders Denkenden, anders Glaubenden und anders Lebenden zu widerstehen. Er fordert uns heraus, gegenüber Macht und Mammon kritisch zu sein. Er fordert dazu heraus, einzustimmen in das Hosianna der Geringen und Verletzlichen, der Erniedrigten und Beschämten. Was auf den ersten Blick, nach irdischem Maßstab und menschlichem Ermessen als schwach erscheint, wird sich durchsetzen. Auf diese Gewissheit ist oft mit Spott und Hohn reagiert worden. In Friedrich Nietzsches „Zarathustra“ findet sich eine Eselslitanei, in der die Niedrigkeit Jesu auf seinem Esel verhöhnt wird und mit ihr jede Niedrigkeit, alles Schwache und alle Schwachen. Im Kontrast dazu sind die Stimmen zu hören, die hier ein Leitbild, ein Vorbild einer armen Kirche für die Armen dieser Welt erkennen, so zum Beispiel beim evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer oder bei Papst Franziskus.

Wir sind Bettler – so ein letztes Wort Martin Luthers – auch wir sind Bettler und angewiesen darauf, dass unsere leeren Hände und leeren Herzen gefüllt werden. Dass auch wir es nötig haben, dass uns gegeben wird, lässt uns neu auf das Leben und die Welt blicken. Das Entscheidende erarbeiten wir uns nicht, verschaffen wir uns nicht, verdienen wir uns nicht, erwirtschaften wir uns nicht, das Entscheidende wird uns gegeben. In der Ökumene, unserem Miteinander der Kirchen, sehen wir heute, wieviel wir einander geben können und schon gegeben haben. Zurecht wird von einer „Ökumene der Gaben“ gesprochen, in der die Vielfalt keine Bedrohung und kein Ärgernis ist, sondern eine bereichernde Erfahrung, die uns etwas von der Fülle spüren lässt, die aus Gottes Gnade fließt. So wird aus dem Miteinander auch ein Füreinander.

Auch Jesus ist uns gegeben, aus nichts als der bedingungslosen Liebe, mit der Gott die Welt liebt. Er macht uns vor, was Geben heißt: Die Hungrigen sättigen, die Fremden aufnehmen, die Kranken heilen, die Erniedrigten aufrichten, die Verfeindeten versöhnen und die bösen Mächte vertreiben. Ja, er macht sich selbst zur Gabe, gibt sich selbst hin und verschenkt sich in Brot und Wein an alle, die voll Vertrauen zu ihm kommen. Jesus Christus ist in Person Gottes Gabe des Lebens in Fülle. So kommt dein König auch zu dir – und macht dich zu einem Lichtträger, einer Hoffnungsträgerin, zu einer Eselin und einem Esel des geteilten, verschenkten, unvergänglichen Lebens.

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