Bibelessay zu Deuteronomium 8, 2 - 3. 14b - 16a

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!“ Diesen allseits bekannten Worten werden alle zustimmen. Sie sind allgemeingültig, eine Lebensweisheit, die der Bibel nicht fremd sein kann. Und sie wurden ein so selbstverständlicher Teil des Sprachgebrauchs, dass die Werbung sie taxfrei verwertet.

Ohne Zweifel, Menschen brauchen nicht nur leibliche Stärkung, sondern auch Zuwendung und Anerkennung, Beziehung und Sinn und vieles andere mehr.

Martin Jäggle
ist katholischer Theologe und Religionspädagoge und Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Folge des Unglaubens

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!“ Das ist aber nur Teil eines Satzes, aus dem 5. Buch Mose, dem Buch Deuteronomium herausgeschnipselt. Oder anders betrachtet: Dem ganzen Satz wurde mit dem Herausnehmen eines Teils sein Sinn genommen. Das, warum der ganze Satz gesagt und erinnert wird, ist damit einfach weg. Der ganze Satz lautet: „Der Herr, dein Gott, wollte dich erkennen lassen, dass der Mensch nicht nur von Brot lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was der Mund des Herrn spricht.“ (Dtn 8,3b) Damit war jedenfalls die ganze Tora, also alle fünf biblischen Bücher Mose, gemeint. Ein starker, befremdlicher Spruch.

Erfüllte Zeit
Donnerstag, 15.6.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Historisch gab es zwei Situationen, aus denen dieser Satz seine Bedeutung für immer bekommen hat. Es war dies im babylonischen Exil die soziale, politische und religiöse Krise nach der Eroberung Jerusalems im Jahre 586 v. Chr. Israel hat gelernt, das alles als Folge seines Unglaubens selbst zu verantworten. Neu hat es entdeckt, was wahrer Glaube und wahres Leben ist. Der ersehnte und ewige Bund mit Gott lässt sich nur in der Gemeinschaft mit dem Gott der Väter und Mütter, nur in Treue zu seinen Geboten und Verboten leben. Wie treu und verlässlich dieser Gott selbst ist, auch wenn sich das eigene Volk abwendet, hat er doch in der Geschichte schon vielfach gezeigt. Der Gott, der Israel aus Ägypten befreit hat, es in der Wüste 40 Jahre mit Manna und Wasser versorgt hat, der wird es auch aus dem Exil führen.

Erster Satz im Matthäusevangelium

Nach der Rückkehr ins Gelobte Land bringen Undank, Überheblichkeit und falsche Selbstsicherheit das Volk Israel in Gefahr, die Gebote und die Wohltaten des Ewigen zu vergessen. Wer in Wohlstand und Reichtum lebt, darf dies nicht als eigene Leistung ansehen. Es geht darum, an Gott zu denken und ihm für die Kräfte zu danken, die er seinem Volk Israel verleiht.

Nach dem Buch Deuteronomium wird Israel ein treues Volk Gottes beim gemeinsamen Lernen des Glaubens, also der Tora, in der Freude des Festes vor Gott und durch die Ethik der Geschwisterlichkeit.

Wie wichtig dieser Satz aus der Tora auch für Christen ist, erschließt sich durch das Matthäusevangelium. Dort ist es der allererste Satz, den Jesus in diesem Evangelium spricht, noch vor jedem öffentlichen Auftreten. Er antwortet nach 40 Tagen Fasten in der Wüste dem Versucher, der ihn auffordert, aus Steinen Brot zu machen: „In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ (Mt 4,4) Jesus sieht darin den Schlüssel zur Tora, er selbst weiß sich davon geleitet.