Bibelessay zu Jeremia 20, 10 – 13

Das Geschick des Propheten Jeremia wird im 20. Kapitel des Prophetenbuchs mit teils recht düsteren Farben gemalt. Davon haben auch diese vier Verse etwas. Und gleichzeitig blitzt durch diese düsteren Farben ein Licht, das dem Propheten in allen Bedrohungen nie ganz gebrochen ist: das Licht Gottes, der für ihn einsteht und bürgt.

Jeremia war ein Prophet, einer der größten in Israel. Was es heißt, Prophet zu sein, wird an ihm deutlich. Prophet zu sein ist keine Aufgabe, die man sich sucht; Prophet zu sein bedeutet, eines Tages gestellt zu werden und in hellstem Bewusstsein zu erkennen, welchen Weg man künftig zu gehen hat. Das hat vielleicht nichts Zwingendes an sich, man kann sich auch entziehen. Aber es hat etwas Bezwingendes an sich, das man nicht vergisst, selbst wenn man davon loskommen will. Ob man dieses Bezwingende nun annimmt oder abweist, sagt noch nichts darüber aus, ob man damit glücklich wird oder nicht. Es sagt nur etwas über die Treue zur Einsicht aus, die da plötzlich aufgeleuchtet ist.

Wolfgang Treitler
ist katholischer Theologe und Judaist

An der Grenze des Erträglichen

Jeremia war seinen Einsichten treu. Treu in allem, was er tat und sprach. Wer so wie er auf seinem Weg unbeirrt geht, verschmäht Kompromisse. Das aber stört auf. Mit diesem Mann kann man nicht reden wie mit anderen. Weil man ihn aber schwer ignorieren kann, muss man gegen ihn etwas unternehmen, um ihn still zu stellen. Unbegrenzt erscheint der Erfindungsreichtum, wenn es darum geht, jemanden zum Schweigen zu bringen. Mit Denunzierungen beginnt es, mit Rufmord setzt es sich fort und endet dann irgendwann und irgendwo.

Jeremia stand oft an der Grenze dessen, was er noch ertragen konnte, manchmal auch jenseits dieser Grenze. Wenn man diese Zeilen im Kontext liest, dann scheint es, als werde er von allen Seiten nur noch aufgerieben, von den Denunzianten, die sich zusammenrotten, von Gott, von dem er nicht lassen kann, und von seiner eigenen Ohnmacht. Er wurde aufgerieben und hatte doch mit allem Recht, was er sagte, mit dem Untergang Judas, mit dem Untergang Babylons. Und dennoch – er war meist ganz allein damit. Warum hat man ihm nicht geglaubt?

Spur in die Zukunft

Generationen nach ihm wird man sich seiner Worte entsinnen und sie als heilige Worte verstehen lernen. Und 600 Jahre nach ihm wird der Evangelist Matthäus mit diesem Propheten Jesus deuten.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 25.6.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Das nun macht das Geheimnis des Propheten aus: Er durchschaute seine Zeit nicht nur mit glasklarem Blick und erkannte deshalb, was unausweichlich kommen wird; er hat mit seinem Weg und mit seinen Worten auch eine Spur in die Zukunft gelegt, die manche in der kommenden Zeit dankbar aufnehmen und weitergehen werden. Auch sie haben keine Illusionen. Jeremias Geschick wird auch sie ereilen. Aber sie sind damit nicht mehr allein, sondern in prophetischer Gemeinschaft. Und sie ziehen ihre letzte Standhaftigkeit aus dem Glauben an Gott, der sie alle verbindet und der in einem Vers des Psalms 56 so treffend in seiner Wirkung beschrieben wird, in einem Psalm, der auch von Jeremia sein könnte: „Ich preise Gottes Wort. Ich vertraue auf Gott und fürchte mich nicht. Was können Menschen mir antun?“