Bibelessay zu Lukas 15, 1 – 7

Vergangenen Monat haben wir einen Gottesdienst gefeiert, in dem sieben Jugendliche konfirmiert wurden. Mit ihrer Konfirmation bekräftigten sie ihre Entscheidung zum Christentum. Sie sind sozusagen erwachsene Christen und Christinnen geworden.

Traditionell suchen sich die Jugendlichen, sie sind um die 14 Jahre alt, bei ihrer Konfirmation einen Bibelvers aus, der sie in ihrem Leben begleitet. Einige der Mädchen und Jungen haben sich für „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“ entschieden. Berühmte Worte. Psalm 23 steht nach wie vor hoch im Kurs. In dem Gottesdienst haben wir die Brücke geschlagen zu den Eltern und Großeltern der Jugendlichen – viele von ihnen kannten diese Worte. Einige hatten den Vers selbst als Konfirmationsspruch. Manche von ihnen haben sogar mit einem gewissen Stolz den ganzen Psalm 23 aufsagen können.

Marco Uschmann
ist evangelischer Theologe, Pfarrer und Chefredakteur der evangelischen Kirchenzeitung „Die Saat“

Der Hirte Gott

Der Herr ist mein Hirte – Psalm 23 zeigt sozusagen die andere Seite der Geschichte vom verlorenen Schaf. Der Psalm erzählt davon, wie es einem Schaf ergeht, wenn der Hirte Gott ist. Nun, es geht ihm gut: Wasser, Wiese, alles da, was ein Schaf begehrt. Und das gilt genauso für den Menschen, wenn Gott der Hirte ist: Alles da, was der Mensch braucht. Psalm 23 erzählt allerdings nicht, was geschieht, wenn ein Schaf verloren geht. Das erzählt Jesus in seinem Gleichnis. Und er erzählt es sehr überzeugend als er fragt, ob nicht jeder losgehen würde um das verlorene Schaf zu suchen. Wohl kaum einer wird ihm widersprochen haben.

Erfüllte Zeit
Sonntag, 2.7.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Was damals gilt, das gilt auch heute. Wer etwas verloren hat, der macht sich auf die Suche. Diesen Gedanken macht Jesus sich zu Nutze um zu verdeutlichen: Gott sucht den Menschen, wenn er verloren geht. Darauf kann man sich verlassen. Warum aber wählt Jesus ausgerechnet ein Schaf, um das zu erzählen? Die Bibel spricht häufig vom Schaf. Bei der Weihe des Tempels durch König Salomo sollen 120.000 Schafe geopfert worden sein. Jesus erteilt Petrus den Auftrag, die Gemeinde zu „weiden“. So wurde der Begriff „Hirte“ später zur Bezeichnung für Leiter oder Seelsorger der Gemeinde. Auch das Bild des Hirten für Gott und für Jesus ist vielen bekannt. Das Motiv von Jesus als dem Guten Hirten, der das verlorene Schaf auf den Schultern oder den Armen trägt, war besonders im 19. Jahrhundert sehr beliebt. In vielen Kirchen ist es als Altarbild zu finden.

Wunsch nach Geborgenheit

Das Bild des Hirten, der sich um seine Schafe sorgt, ist also uralt. Und nach wie vor hochmodern, denn sonst hätten es die Konfirmanden nicht für sich ausgesucht. Für mich ist klar, dass sich in dem Bild vom Hirten der Wunsch nach Geborgenheit und Schutz findet. Dabei ist es völlig unerheblich, ob man sich absichtlich oder unabsichtlich von der Herde und seinem Hirten entfernt hat. Die Frage von Schuld oder Sünde stellt sich nicht in der Geschichte. Eher schon kann man danach fragen, was ein Schaf ohne seine Herde ist. Die Antwort liegt auf der Hand: Ein Schaf ohne Herde ist einsam, schutzlos und lebt sehr gefährlich. In der Welt der Bibel, in der Wüste, lauerten Löwen und Leoparden. Auch Kälte, Hitze und Wassermangel waren lebensgefährlich. Daher das Bild des guten Hirten für Gott, der jedes verlorene Schaf sucht und beschützt.

Der Wunsch nach Geborgenheit und Schutz ist so alt wie die Menschheit, gehört zum Menschsein dazu. So geht es um nichts anderes als Sicherheit und Vertrauen. Diese Gefühle verbindet Jesus in der Geschichte mit einem rationalen Argument: Denn wer etwas verloren hat, der geht auf die Suche danach. Erst recht, wenn es sich um so etwas Wertvolles wie ein Schaf handelt. Denn wertvoll waren Schafe für die Hirten in der Antike – sie waren ja ihre Existenzgrundlage. So antworten damals wie heute die Menschen auf die Geschichte wahrscheinlich mit einem „Ja eh geht der Hirte auf die Suche“. Insofern erzählen die Geschichte vom verlorenen Schaf und Psalm 23 - Der Herr ist mein Hirte – von der Sehnsucht nach Vertrauen in Gott. Das gilt für die Menschen der Bibel ebenso wie für die Konfirmandinnen im Gottesdienst. Beide Geschichten erzählen von dem Vertrauen, das Menschen in Gott haben dürfen. Er macht sich auf, sie zu suchen. Immer wieder und immer wieder neu. Darauf kann man vertrauen.