Bibelessay zu Matthias 25, 14 – 30

Der heutige Text gehört zur sogenannten „Gerichtsrede“ oder „Endzeitrede“ im Matthäusevangelium. Parallel zu den fünf Büchern Mose im Alten Testament werden im Matthäusevangelium wichtige Überlieferungen von Jesus in fünf große Reden zusammengefügt.

Damit wird die Bedeutung Jesu hervorgehoben: Er ist für glaubende Menschen der neue Mose, der Befreiung bringt. Diese „Endzeitrede“, direkt vor dem Leiden und Sterben Jesu überliefert, will nicht Angst machen, sondern die Leser bzw. Hörerinnen und Hörer des Evangeliums ermutigen, aufmerksam und verantwortungsvoll zu handeln. Auch das heutige Gleichnis will mit seiner Rede von den „Talenten“ Mut machen – und auch eine warnende Stimme sein. In der Antike waren „Talente“ ein Gewicht, eine Währung.

Helga Kohler-Spiegel
ist katholische Theologin, unterrichtet an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg und ist Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin in Feldkirch

Engagiert für Mensch und Tier

Zuerst zu den Aspekten im Text, die Mut machen: Die Hörerinnen und Hörer des Evangeliums wissen bereits, dass mit dem „Mann“ im Text auf Jesus angespielt wird. Nach dem Tod und der Auferstehung Jesu warten Christinnen und Christen auf die Wiederkunft Jesu Christi. Und sie fragen sich, wie Christen bis dahin richtig leben sollen. Der heutige Text gibt Antwort darauf – in bildhafter Sprache.

Lebenskunst
Sonntag, 19.11.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Manche Menschen bringen viele Begabungen und Ressourcen mit, manche Menschen können viel bewegen und tun, andere weniger. Das ist – so sagt das Gleichnis – nicht wichtig, es ist in Ordnung, dass Menschen verschieden sind. Wichtig ist vielmehr: Dem Menschen ist viel anvertraut, der Mensch hat Verantwortung für die Welt, für die Menschen, die Tiere und die ganze Natur. Der Mensch hat Verantwortung für Frieden oder Krieg, für Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit auf der Welt und vieles mehr. Deshalb sind Christinnen und Christen eingeladen und gefordert, die eigenen Fähigkeiten und Kräfte einzusetzen, damit die Botschaft Jesu weiterlebt, d.h. so zu leben, wie Jesus gelebt hat. Oder anders gesagt: Gott zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Das heißt: Achtsam sein für sich selbst, fürsorglich und engagiert für Mensch und Tier – und dies aus der inneren Verbundenheit mit der Kraft Gottes.

Keine Angst!

Diese Botschaft steht im Mittelpunkt dieses Gleichnisses: Christinnen und Christen sind aufgerufen, Verantwortung zu übernehmen und sich zu trauen, mit den eigenen Möglichkeiten das Leben zu gestalten, sich selbst zu entwickeln und andere zu unterstützen, Mut zum Risiko zu haben, sich einzusetzen und zu handeln. Das Gleichnis ist ein Aufruf für Christinnen und Christen, keine Angst vor Fehlern zu haben, und schon gar nicht aus Angst das Leben zu meiden. Ich finde, es ist ein wunderbarer Aufruf.

Der Text spricht aber auch eine Warnung aus: Menschen können aus Angst ihre Talente vergraben, sich nicht ins Leben wagen. Es gibt viele Gründe, Angst zu haben vor den Anforderungen, die das Leben stellt. Diese Angst aber führt zu Zurückhaltung und Lähmung. Wer sich hingegen ins Leben wagt, gewinnt mit jedem Schritt neue Erfahrungen. Diese Erfahrungen werden nicht immer angenehm oder erfolgreich sein, aber sie zeigen, dass ich etwas gestalten und tun kann, dass ich nicht ohnmächtig bin. Und etwas zu tun, hilft oft am besten gegen die Angst. Deshalb will der heutige Text sehr ermutigen: Hab keine Angst, bring dich ein, engagiere dich, lebe!