Prozess

Alles scheint in Bewegung zu sein! Überall sind Skulpturen in Form von sich windenden Körpern, Menschentrauben oder bildhauerischen Fragmenten zu sehen. Zudem hat die modellierte Oberfläche eine ungemeine Dynamik.

Gedanken für den Tag 23.11.2017 zum Nachhören:

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Wenn man vor Auguste Rodins Hauptwerk „Das Tor zur Hölle“ im Pariser Musée d’Orsay steht, ist man zunächst geblendet von der Fülle des Dargestellten. Und von der Größe dieses Hochreliefs. Denn die „Höllenpforte“ hat eine Höhe von über sechs Metern. Nach längerer Betrachtung erkennt man Skulpturen wieder, die losgelöst von diesem Tor zu Ikonen der modernen Plastik wurden. So findet sich hier etwa auch Rodins legendärer „Denker“.

Hinterfragen und Neudenken

Nahezu ein Leben lang hat der französische Bildhauer an diesem gigantischen Relief gearbeitet. Den Ausgangspunkt bildete ein Auftrag, den der damals Vierzigjährige im Jahr 1880 erhielt. Rodin sollte das Eingangstor für ein neues Kunstgewerbemuseum gestalten. Geplant war die Ausschmückung der Pforte mit Reliefs zu Szenen aus Dantes „Göttlicher Komödie“ Als Vorbild dienten dem Künstler die Tore Ghibertis am Florentiner Baptisterium.

Johanna Schwanberg
ist Leiterin des Dom Museum Wien

Mich interessiert das Höllentor, weil Rodin sich im Laufe der Arbeit immer mehr von Dantes Textvorlage löste und Eigenes daraus entwickelte. Es geht hier nicht mehr um ein bestimmtes Thema, sondern um die Auseinandersetzung mit Emotionen, Sehnsüchten, Zweifel und Leid. Im Zentrum steht die menschliche Existenz in all ihrer Widersprüchlichkeit.

Besonders aber begeistert mich die prozesshafte Haltung, die Rodin bei der Arbeit an diesem Lebenswerk einnahm. Die Tür wurde noch während ihrer Entstehung funktionslos, denn man hatte die Pläne für den Bau des Museums bald aufgegeben. Dies hinderte Rodin aber nicht daran, bis zu seinem Tod im Jahr 1917 stets daran weiter zu werken. Er entwickelte immer wieder neue Figurengruppen dafür, nahm Umgruppierungen vor oder löste einzelne Figuren heraus.

Rodin bringt damit für mich zum Ausdruck, dass einer der wesentlichen Momente des Lebens nicht das Ziel, sondern der Prozess ist. Nur im ständigen Hinterfragen, Neudenken und Kreativsein fühle zumindest ich mich als Mensch erst richtig lebendig.

Musik:

Philippe Caillat/Gitarre, Keyboards: „Paris Nostalgie“
Label: Laika LK 689012