Bibelessay zu Matthäus 25, 31 – 46

Selten ist ein Text so eingängig. Er teilt klar in links und rechts und verdeutlicht das auch formal durch die Wiederholungen. Dadurch werden die Bilder noch einprägsamer.

Jede noch so kleine Szene bekommt Bedeutung: Beurteilt wird danach, ob geholfen wurde oder nicht. Da gibt es kein „ein bisschen“ oder „manchmal“ oder „je nachdem“ oder „ja, aber“. Da gibt es nur Ja oder Nein. Geholfen oder nicht geholfen. Das versteht jeder, der hören kann.

Brigitte Schwens-Harrant
ist katholische Theologin und Feuilletonchefin der Wochenzeitschrift „Die Furche“

Gesinnungsethiker und Gutmenschen

Doch wo ein Text und wo Hörerinnen und Hörer, da wachsen auch die Interpretationen. So kann man einwenden, zur Zeit der Verfassung des Textes wären nur die Mitglieder der Gemeinde gemeint gewesen, um die man sich zu kümmern habe. So hört man heute oft, das dürfe man bitte nicht wörtlich verstehen oder man müsse es als einen rein privaten Appell sehen und nicht als politische Gebrauchsanweisung, schon gar nicht wäre es auf Gesetze und politische Systeme anzuwenden. Wo kämen wir denn da hin?

Naiv werden dieser Tage dann die genannt, die sich in ihrem Tun auf diesen Text berufen, oder „Gesinnungsethiker“, noch schlimmer ist das Wort „Gutmenschen“. Die biblischen Schriften seien nicht politisch zu verstehen, es sei naiv, Texte wie diesen in der Wirklichkeit einzufordern, etwa im Umgang mit Flüchtlingen.

Partei ergreifen für die Geringsten

Nun ist interessanterweise gerade die Rücksichtnahme auf die Geringsten, wie sie hier gefordert wird, inzwischen durchaus oft Grundlage von Gesetzen - wie sich am Beispiel Kinderrechte und Asylrecht zeigt, aber auch in jenen Ordensregeln, die das Gastrecht hochhalten. Ein Geist, ein Denken, wie es das Matthäusevangelium hier anspricht, nämlich immer und überall die Geringsten zu schützen, kann und soll also durchaus auch Gesetze motivieren und durchdringen.

Lebenskunst
Sonntag, 26.11.2017,7.05 Uhr, Ö1

In einer globalen Gesellschaft sind meine Gegenüber zudem nicht mehr nur jene, die mir auf der Straße begegnen, sondern auch jene, die ich nicht sehe, etwa weil sie in Afrika leben. Die Geringsten nicht hungern zu lassen, bedeutet daher auch eine globale, eine strukturelle Verpflichtung. Dem Bettler nebenan eine Münze zuzuwerfen, aber durch Ausbeutung anderer weiter bestens zu leben, das wäre wohl gegen den Geist des Textes. Der Geringste ist wahrzunehmen und ihm ist zu helfen, und das braucht auch strukturelle, politische Maßnahmen.

Was den heutigen Evangeliumstext aber vor allem brisant macht: An Gott Glauben ist klar gekoppelt an die Haltung gegenüber anderen, an das Handeln gegenüber anderen. Es ist dem Verfasser des Textes so wichtig, dass er es wiederholt. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Und: „Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.“ An Gott glauben bedeutet demnach genau das: Partei zu ergreifen für die Armen, die Hungernden, die Obdachlosen, die Kranken, die Gefangenen, die Geringsten. Ohne „ein bisschen“ oder „manchmal“ oder „je nachdem“ oder „ja, aber“. In dieser grundsätzlichen Parteinahme gibt es nur Ja oder Nein.