Gegen die Diffamierung eines achtbaren Geschäfts

Politik ist ein schmutziges Geschäft, sagen viele. Ich habe eine andere Vorstellung. Eine Regierung sollte wie ein durchsichtiges luftiges Zelt sein, das alle umspannt, und in dem sich alle mit ihren Unterschieden vertrauensvoll, sicher und frei bewegen können.

Zwischenruf 26.11.2017 zum Nachhören:

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Vielleicht eine Vision? Oder eine Illusion? Mir ist schon klar, die perfekte Regierung gibt es nicht, sonst würden wir im Paradies leben. Herausforderungen aller Art bleiben nicht aus. Aber bedenklich wird es dann, wenn dieses Zelt Risse bekommt, und die Menschen eigene Zelte aufbauen, in die sie sich zu ihrem Schutz flüchten. Und noch bedenklicher wird es, wenn das auch Politiker, Parteien und Regierungen tun.

Univ. Prof. Dr. Susanne Heine
lehrt am Institut für Praktische Theologie und Religionspsychologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien

Werte sind gefragt

Das ist dann aber kein luftiges Zelt mehr, sondern das sind Burgen, in denen sich verschiedene Gruppen verschanzen. Und da es eben verschiedene und auch kontroverse Gruppen sind, stehen dann mehrere Burgen in der politischen Landschaft, die sich gegeneinander abschotten. Von einer Solidargemeinschaft ist dann keine Rede mehr. Denn die in der einen Burg sehen sich selbst als die Vertreter des Wahren und Guten und überschütten die Insassen der anderen Burgen mit ihrem Hass, die sie als Lügner und Verfälscher der Wahrheit sehen: eigene Welt und verhasste Gegenwelt. Mir kommt das vor wie eine Politik der Stammesfehden.

Das zeichnet sich bei Wahlen ab. Parteien werden „abgestraft“ heißt es dann. Warum eigentlich? Weil sie untereinander und gegeneinander streiten? Weil sie mit Schmutzkübeln um sich werfen? Ein gefundenes Fressen für einen Großteil der Medien. Das erinnert mich an Zeitschriften, in die ich ab und zu beim Frisör hineinschaue. Wer mit wem? Wer nicht mehr mit wem? Was war der Skandal der letzten Woche? Aber ich frage mich: Wen interessiert das denn überhaupt? Was mich interessiert, sind Parteiprogramme im Dienste des Gemeinwohls. Aber Parteiprogramme erübrigen sich, wenn ohnehin nur emotional belohnt oder abgestraft wird von Burginsassen, die einander befehden.

Zwischenruf
Sonntag, 26.11.2017, 6.55 Uhr, Ö1

Werte sind gefragt, humane oder gar christliche. Allerdings: Ich weiß nicht, wer auf die Idee gekommen ist, Werte ließen sich lernen wie das Alphabet. Werte müssen den Menschen einleuchten, und das ist nur dann möglich, wenn sie positive Erfahrungen machen, wenn sie als wertvoll geachtet werden. Werte können nur bezeugt werden durch glaubwürdiges Handeln. Und zwar von Menschen in öffentlichen Leitungspositionen in Politik, Wirtschaft und Religionsgemeinschaften. Deshalb erübrigen sich alle abstrakten Wertediskussionen.

Maßstäbe für eine gute Politik

Im Matthäusevangelium, Kapitel 25, gibt es eine Szene (Mt 25,31-46): Alle Menschen stehen vor dem Weltenrichter. Der teilt die Menschheit ein in Schafe zu seiner Rechten und Böcke zu seiner Linken. Die Menschen werden nicht gefragt, woran sie glauben, ob sie Christen, Juden, Muslime oder Agnostiker sind. Was wahr und gut ist, zeigt sich an dem, was sie für Hilflose, für Obdachlose oder Fremde tun. So steht es im Text. Ob sie ihnen auf die Beine helfen und die Fremden aufnehmen. Das haben die auf der rechten Seite getan, ohne zu fragen: Sind die das überhaupt wert? Gehören sie zu uns? Wann werden die endlich etwas leisten? Solche Fragen haben die zur Linken gestellt und nichts getan. Das Gericht stellt die Gerechtigkeit wieder her, die Menschen häufig versäumen. Und so kann es sein, dass sich die Menschheit am Ende der Tage in einer Gemeinschaft mit solchen wiederfindet, die sie zu Lebzeiten gemieden oder von den Zinnen ihrer Burg mit Hass beschossen haben. Sei es auf der rechten oder der linken Seite, sie werden mit Christen, Juden, Muslimen oder Agnostikern zusammen sein.

Ob nun jemand an das Ende der Tage glaubt oder nicht: Was das Evangelium des Matthäus vor Augen führt, sind Maßstäbe auch für eine gute Politik hier und jetzt. Politik ist kein schmutziges, sondern ein achtbares Geschäft, das sich als solches bewähren muss und auch kann; indem sie ein durchsichtiges luftiges Zelt ausspannt, in dem sich alle mit ihren Unterschieden vertrauensvoll, sicher und frei bewegen können. So stelle ich mir das vor, eine Solidargemeinschaft nicht erst für die Zukunft.