Bibelessay zu Jesaia 61, 1 – 2a. 10 – 11

Auf ihm ruht Gottes Geist. Er war der zum Messias und König Gesalbte. Griechisch heißt das „chrestos“ – also Christus. Er hat die frohe Botschaft gebracht.

Wiederum in der griechischen Sprache des Neuen Testaments: das „eu-angelion“. Ihn nennen die Nachfolgenden liebevoll Heiland. Er befreit aus vielfältigen Fesseln. Nicht zuletzt aus den Fesseln der Angst. Und in all dem eröffnet er ein Gnadenjahr des Herrn. Die Evangelisten beziehen den alten Text des Propheten Jesaia auf Jesus von Nazareth.

Paul M. Zulehner
ist katholischer Theologe und Religionssoziologe

Göttlicher Rückenwind

Derselbe Geist Gottes ruhte aber nicht nur auf Jesus, der in der Auferstehung zum Christus geworden ist. Er lässt sich auch auf uns nieder. Manche wurden dazu in der Firmung gesalbt: Aber nicht nur für sich selbst, sondern auch, dass alle begreifen, dass Gottes Geist sich auf jeden Menschen niederlassen will.

Ich traf unlängst eine Frau. Sie arbeitete ehrenamtlich in einem Projekt ihrer Pfarrgemeinde mit. Schutzsuchende Menschen sollten nicht nur umstandslos erstaufgenommen werden. Die pfarrliche Gruppe hatte es sich zum Ziel gesetzt, Aufgenommene bis zur vollen Integration in unser gesellschaftliches Leben professionell zu begleiten. Dazu gehören wiederholt Wege zu freundlichen und unfreundlichen Behörden. Einige treffen sich jede Woche längere Zeit, um den Asylanten zu ermöglichen, die deutsche Sprache zu lernen. Das fällt manchen erstaunlich leicht und ist bemerkenswert. Ich könnte umgekehrt nicht so schnell deren Muttersprache Farsi oder Paschtun lernen. Andere aber resignieren, weil es ihnen an Sprachbegabung fehlt. Wenn sie aber bleiben wollen, gibt es keinen anderen Weg, als die Sprache des Landes zu erlernen.

Gegenwind aus der Gesellschaft

Die nächste Hürde ist die Suche nach einer finanzierbaren Wohnung. Manche Vermieter regen sich auf, sobald sie erfahren, dass es um eine Asylantenfamilie mit Kindern geht. Und nicht zuletzt ist die große Hürde der Arbeitsmarkt. Oft, so erzählt sie, ist es zum Verzweifeln, wenn nichts weitergeht. Aber wenn es ganz schwer ist, spürt sie – so ihre einfache und doch betörend klare Sprache – „göttlichen Rückenwind“. Wind, Hauch: Das ist im Hebräischen „ruach“. Gottes Heiliger Geist. Die engagierte Frau spürt also, wie es das heutige Evangelium benennt, dass Gottes Geist auf ihr ruht. Sie arbeitet daran mit, dass Menschen, die vor den Fesseln des Krieges und der Unfreiheit geflohen sind, Befreiung erleben. Sie ruft für sie in einfachem Einsatz das Gnadenjahr des Herrn aus.

Lebenskunst
Sonntag, 17.12.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Solch göttlichen Rückenwind hat sie nicht nur deshalb nötig, weil die Integration eine anspruchsvolle Mammutaufgabe ist. Sie braucht diesen Rückenwind mehr denn je, weil ihr aus dem gesellschaftlichen Umfeld heute der Gegenwind ins Gesicht weht.

Das Christliche im Abendland

Als die ersten Schutzsuchenden unser Land erreicht haben, waren viele – zumal junge Leute – unterwegs, um diese an der Grenze oder auf den Bahnhöfen willkommen zu heißen. Willkommenskultur avancierte zum Wort des Jahres. Inzwischen wurde dieses Wort aber ironisiert. Es wird von manchen Politikern und nicht wenigen selbst ernannten Stammtischjournalisten verspottet. Zwar würdigen die Kirchenleitungen, der österreichische Bundespräsident oder die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die vielen Freiwilligen, die sich einsetzen. Denn ohne sie könnte der Staat seine vom Asylrecht auferlegte Pflicht nicht erfüllen. Oft beklagen sich in Diskussionen viele ehrenamtlich Engagierte, dass sie von nicht wenigen wegen ihres Einsatzes als „Gutmenschen“ beschimpft werden. Sie wären zu naiv, wirft man ihnen vor. Können wir stolz darauf sein, dass jene sich verteidigen müssen, die Gutes tun, die wertvolle Dienste für die Integration leisten und sich einsetzen? Es ist wohl nicht das christliche Abendland zu retten, sondern das Christliche im Abendland.

Ich lese mich wieder und wieder in den verheißungsvollen Text ein. Der Geist des Herrn ruht auf ihr, so meditiere ich. Das verleiht mir die hoffnungsschwangere Gewissheit, dass Menschen wie diese Frau dank des göttlichen Rückenwinds durchhalten werden. Dabei wird sie wie eine gute Seglerin gläubig gegen den Wind „kreuzen“ – in des christlichen Wortes buchstäblichen Sinn. Das wird sie und mit ihr unser Land wirklich voranbringen.