Bibelessay zu Lukas 2, 15 – 20

Angst kennen wir alle von Anfang an. Das ist der Befund der Wissenschaften vom Menschen. Ängste haben zudem in einer Kultur der Angst Aufwind. Zudem werden sie von kurzsichtigen Akteuren in der Politik geschürt, um Wählerstimmen zu gewinnen. Der weltweite Terrorismus trägt einen erheblichen Teil dazu bei. Wir leben in Angstgesellschaften.

Das ist weder für die einzelnen Menschen noch für die Gesellschaften gut. Angst kommt vom lateinischen angustus. Das bedeutet Enge. Die Angst treibt also in die Enge. Sie lähmt. Noch mehr, sie erschwert uns zu werden, was wir sind: liebende Menschen. Denn Liebe entfaltet sich im Gegenfeld der Angst: Und das ist das Vertrauen. Angst ist aber auch für die Entwicklung unserer Gesellschaften verheerend. Denn Angst entsolidarisiert. Sie verhindert bei Wahlen, dass vorrangig jene Politikerinnen und Politiker gewählt werden, die sich für wachsende Gerechtigkeit national wie international einsetzen. Ohne solche Gerechtigkeit wird es keinen Frieden auf der Welt geben. Und genau danach sehnt sich die Menschheit, verlangen die Völker, dürsten die einzelnen Menschen. Was es also braucht, sind gute Kräfte, die es schaffen, dass unsere Angst kleiner und das Vertrauen größer wird.

Paul M. Zulehner
ist katholischer Theologe und Religionssoziologe

Von Ängsten heilen

Vielleicht ist es das größte Geschenk, wenn es gelingt, jemanden aus der Ecke der Angst herauszulieben. Moralisieren hilft dabei nicht. Es nützt nichts, den Ängstlichen mit der Hölle zu drohen. Es hilft den Verängstigten meist auch nicht, wenn man sie erinnert, dass in der Bibel 366 Mal den Menschen zugerufen wird: „Fürchtet euch nicht!“ Wir haben auch noch im Ohr, dass Papst Johannes Paul II. wiederholt der Weltgemeinschaft zurief: „Non abbiate paura – habt keine Angst!“

Lebenskunst
Montag, 25.12.2017, 7.05 Uhr, Ö1

Manche meinen, die Menschen hätten weniger Ängste, wenn die politisch Verantwortlichen einer „Politik des Vertrauens“ Priorität einräumen. Konkret hieße das: sich für einen dauerhaften Waffenstillstand einzusetzen, die Waffenlieferungen zu ächten, humanitäre Korridore zu schaffen, Solidarität in Europa zu stärken, einen Marshallplan für Syrien und Afrika aufzulegen. Andere setzen auf Bildung, weil ichstarke Menschen mit besorgniserregenden Herausforderungen eher zurande kommen. Sie können die irrationale Angst, die im Bauch sitzt und lähmt, in rationale Furcht und Sorge wandeln. Diese kann in Denken und Handeln umgesetzt werden.

Narges Weihnachten

Aber die Wirkungen von Politik und Bildung halten sich vor allem bei Menschen, die im Gefängnis der Angst festsitzen, in bescheidenen Grenzen. Was vielleicht allein hilft, sind Gesichter und Geschichten. Das lehren uns die Hirten von Bethlehem. In ihren nächtlichen Ängsten haben ihnen Engel zugesungen: „Fürchtet euch nicht!“ Diese unheimlich-heimeligen Gottesboten verlassen sich jedoch nicht auf ihren Zuruf allein. Sie leiten die Hirten vielmehr an, das neugeborene Kind im Stall und seine noch jungen Eltern aufzusuchen. Diese Begegnung und die Geschichten, die ihnen Maria und Josef wohl dazu erzählt haben, haben ihre Ängste gebannt und in Freude gewandelt. Bis heute sind es Gesichter und Geschichten, die von Ängsten heilen.

Vor Monaten war mir die Begegnung mit der 13-jährigen Narges aus Afghanistan geschenkt worden. Sie kam als ein unbegleitetes Kind nach Österreich. Ihr Fluchtweg war lang. Er ging von Afghanistan in den Nordiran über die Türkei, wo sie und ihr Bruder den Kontakt zur Mutter verloren hatten, nach Österreich. Auf die Frage, wie es ihr jetzt in Stams in Tirol ergehe, sagt sie unter Tränen: „Hier in Stams kann ich zum ersten Mal zur Schule gehen.“ Das ist Weihnachten für sie. Aber auch für viele, die sie willkommen geheißen haben. Und dann ihr großes Glück: Die verlorene Mutter tauchte wieder auf.