Bibelessay zu Numeri 6, 22 – 27

Ein neues Jahr liegt vor uns, vor Ihnen, vor mir. 2018. Noch ganz hell und unberührt, wie ein frisches, weites Schneefeld in der frühen Morgensonne.

Es ist ein Jahr mit Gedenk- und Erinnerungsmomenten. 1848, 1918, 1938 und 1968. 100 Jahre Österreich als Republik. Nach einem schweren Start heute als gefestigte Demokratie im Herzen Europas. Der Blick zurück macht mich gewiss: Wir haben als Gesellschaft den Mut, die Fähigkeit und die Möglichkeit, Gegenwart und Zukunft gut zu gestalten, wenn wir das wollen.

Michael Landau
ist Präsident der Caritas Österreich

Wort des Segens

Das Jahr 2018 wird ein Hoffnungsjahr sein, wenn wir die Zeit nützen, um diese Welt ein Stück schöner, ein Stück heller, ein Stück menschenfreundlicher zurückzulassen, als wir sie vorgefunden haben. Wir können das. Es liegt auch an uns, an Ihnen, an mir, wie diese Welt aussieht, in der wir leben. Zusammenhalt und Zuversicht. Dazu will ich einen Beitrag leisten. Und darum möchte ich auch Sie bitten am heutigen 1. Tag des neuen Jahres. Es liegt an uns allen, eine Spur zu ziehen, die in die Weite führt.

Das erste biblische Wort am Beginn dieses neuen Jahres ist dabei ein Wort des Segens: Über all den Wegen, all den Spuren, all den Menschen dieser Welt, soll Gottes Antlitz leuchten und Frieden herrschen. Die Du-Form der Anrede schafft eine persönliche Ebene: Jede und jeder Einzelne ist gemeint. Das Wohlwollen, die Zugewandtheit Gottes sollen alle begleiten. Unversehrtheit, Wohlergehen, Sicherheit, all das schwingt mit, in den Begriffen von Frieden und Heil.

Wir sind nicht alleine

Das ist zunächst Zusage: Gott ist es, der zuerst handelt. Wir sind nicht alleine, keine und keiner von uns. Ebenso ist es aber auch eine Einladung, die eigenen Augen zu öffnen, hinzuhören und zu handeln. Wie geht es den Menschen in meiner Nähe? Wo spüre ich, dass es eigentlich auf mich ankommt, weil andere einsam sind, Unterstützung brauchen, vielleicht ein gutes Wort oder ein Zeichen der Nähe?

Lebenskunst
Montag, 1.1.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Schon ganz praktisch gesehen: Mir kann es nicht wirklich und auf Dauer gut gehen, solange es Menschen in meiner Nähe und an anderen Orten schlecht geht. Wir gehören zusammen. Ohne ein Du wird keiner zum Ich.

Ich bin überzeugt: Zu einer guten Gesellschaft gehören faire Chancen für alle und Aufmerksamkeit für die Schwächsten an den Rändern. Ich kann das eigene Glück nicht am Glück der anderen vorbei entwerfen. Wenn ich mit Menschen spreche, die sich etwa als Freiwillige für andere engagieren, weiß ich: Der Schlüssel zu einem geglückten Leben liegt nicht darin, sich nur um das eigene, sondern sich eben auch um das Glück der anderen zu sorgen.

Das gilt in Österreich, wo ich aufgrund unserer Erfahrung aus der täglichen Arbeit in den Familienzentren, den Mutter Kind Häusern, den Sozialberatungsstellen und Lerncafés überzeugt bin: Wir dürfen die Not nicht vergessen, die es auch bei uns gibt. Es kommt auf jede und jeden Einzelnen an, wie die Welt aussieht.

Menschen auf der Suche nach Frieden

Die Gewissheit, das eigene Glück nicht an jenem der anderen vorbei entwerfen zu können, gilt aber auch im weltweiten Maßstab, wenn Papst Franziskus den heutigen Tag als kirchlichen Weltfriedenstag unter das Motto gestellt hat: „Migranten und Flüchtlinge: Menschen auf der Suche nach Frieden.“

Der Papst wählt dabei die weltkirchliche Perspektive. Aber seine Mahnung ist vielleicht auch in unseren Breiten aktuell: In vielen Ländern habe sich eine Rhetorik der Ausgrenzung durchgesetzt. Das wird gegen die Anderen in Stellung gebracht. Ein Klima der Angst wird geschürt. Zwietracht wird gesät. Franziskus sagt zu Recht, dass dabei „die menschliche Würde missachtet wird, die jedem zuerkannt werden muss, weil alle Menschen Kinder Gottes sind.

Ich glaube: Wir alle sind auf die ein oder andere Weise Menschen auf der Suche nach Frieden. Diesen Suchenden auch in meinem Gegenüber zu erkennen, letztlich sich selbst im Anderen zu entdecken – das ist es, was uns als Leitmotiv durch dieses nächste Jahr führen sollte.

Ein neues Jahr liegt vor uns, vor Ihnen, vor mir. Noch ganz hell und unberührt, wie ein frisches, weites Schneefeld in der frühen Morgensonne. Es liegt an uns, eine Spur zu ziehen, die in die Weite führt.