Bibelessay zu Johannes 3, 14 – 21

Der Evangelist Johannes riskiert einen gewaltigen Vergleich: Christus am Kreuz ist „hochaufgerichtet“ wie die „Schlange in der Wüste“. Er erinnert damit an eine Begebenheit beim Auszug des Volkes Israel aus der Gefangenschaft in Ägypten, 2000 Jahre vor Jesus Christus.

Die Israeliten in der Wüste sind des mühevollen Wanderns überdrüssig und verlieren den Glauben an eine Zukunft. Da schickt Gott Giftschlangen und eine große Not bricht aus. Mose aber wird mit einem Gegengift betraut: er soll eine Schlange aus Kupfer bilden. Diese hängt er an einen Fahnenmast. Wer von einer Giftschlange gebissen wurde, kann die Kupferschlange am Mast anblicken und wird sogleich gesund.

Severin Renoldner
ist Professor für Ethik, Moraltheologie und politische Bildung an der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz

Geheilt wovon?

Ist das nicht bemerkenswert: Gott selbst hat, dem Alten Testament zufolge, die Giftschlangen geschickt; er erteilt seinem Volk eine harte Lehre. Und dann schickt er auch das Heilmittel, damit doch niemand daran stirbt. Der alte biblische Text spielt gewissermaßen mit der Idee, ob Gott selbst Urheber des Schlechten ist, um dann zu erklären, nein, er hat das Hilfsmittel geschaffen, das die Übel vertreibt.

Die Kupferschlange ist etwas Doppeltes: Abbild des Schrecklichen, der im Volk Israel wütenden Giftschlangen. Und sie ist zugleich Medizin, Wundermittel gegen die tödlichen Krankheiten, die von der Bisswunde ausgehen. Diese alte Geschichte war im Volk Israel gut bekannt, die Kupferschlange ein Symbol, das alle kannten.

Wie kann jetzt plötzlich Jesus Christus mit einem solchen Heilmittel verglichen werden? Er wird, so drückt es Johannes makaber aus, bei seiner Hinrichtung am Kreuz „erhöht“, er hängt an einer Stange, und Johannes möchte sagen, dass man nur auf ihn blicken müsse, um geheilt zu werden. Geheilt wovon?

Schluss mit Rache und Vergeltung

Jesus war keine Schlange und die Menschen seiner Zeit haben ihn nicht wegen Bisswunden aufgesucht – auch wenn er immer wieder Kranke geheilt haben soll. Er ist nicht schuldig daran, dass es zu Hass, Boshaftigkeit und Unbarmherzigkeit kommt. Aber er sucht die Orte auf, wo Menschen darunter leiden, und gerade dafür wird er schließlich umgebracht.

Lebenskunst
Sonntag, 11.3.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Hier setzt die eigentümliche Interpretation des Evangelisten Johannes ein: der brutale Tod Jesu – eine Katastrophe – sei eigentlich das Wunderbarste, ein Heilmittel. Jesus, der zu Tode gefolterte und hingerichtete Mensch, also wohlgemerkt: der getötete Jesus, und noch nicht der Auferstandene – wird jetzt „aufgerichtet“ wie die kupferne Schlange des Moses. Am Kreuz kann man ihn sehen – schrecklich, makaber.

Wer auf ihn hinblickt, der kann gerettet werden. Was heißt gerettet? Wovor denn? Was ist es für ein heilsamer Blick, den ich da hinwerfen soll, wo man sich eher abwenden würde: „Um Gottes willen! Bloß nicht!“ Es ist der Blick, der das Unrecht von der Gerechtigkeit zu unterscheiden weiß. Jesus ist unschuldig getötet worden. Sein Anblick sagt mir: Mach Schluss mit Rache und Vergeltung.