Mit brennender Sorge

Freitag, 12. März 1937. Über geheime Wege wurde die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI. ins Deutsche Reich gebracht und dann ebenso geheim vervielfältigt. Am Ende dieser gelungenen Geheimaktion stand die Verlesung des Textes in den katholischen Kirchen am Palmsonntag.

Weder davor noch danach hat sich Rom so deutlich gegen die Nazis gewandt wie der schon alte und gesundheitlich mitgenommene Papst Pius XI. Er führte den Christen und Christinnen genau vor Augen, welch tödliche Widerlichkeit im Gehabe des Regimes sich offenbarte. Schon in den Anfangspassagen seines Schreibens, in denen er das Konkordat zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich aus dem Jahr 1933 verteidigte, zieht er eine ernüchternde Bilanz aus den Entwicklungen seither und lässt keinen Zweifel an dem, was – wie er wörtlich schreibt – der „Anschauungsunterricht der vergangenen Jahre (gezeigt hat) …: Er enthüllt Machenschaften, die von Anfang an kein anderes Ziel kannten als den Vernichtungskampf.“ (5)

Wolfgang Treitler
ist Theologe und Judaist

Gegenreligiöses System

In der Beschreibung der Haltung derer, die diesen Vernichtungskampf gegen die Kirche führen, hält sich Pius XI. keineswegs vornehm zurück. Er schreibt vom „widerliche(n) Hochmut dieser Neuerer“ (32), die das Gefüge menschlicher Wirklichkeit und Ordnung durch den „sogenannte(n) Mythos von Blut und Rasse“ (32) ersetzen, eine dumpfe, tierische Ideologie, die – nochmals mit Pius direkt gesprochen – „geistige Tempelschändung“ (48) vor allem an den jungen Menschen betreibt. Damit meint er nichts anderes als die Verstaatlichung der Erziehung, die die Eltern entmündigt und zu Nachwuchslieferanten fürs Deutsche Reich degradiert.

Was die Nationalsozialisten durchsetzen wollten, war für Pius XI. nichts anderes als ein gegenreligiöses System, das an seiner steilen Hierarchie erkennbar war. An ihrer Spitze stand Hitler als Gott der Deutschen.

Lebenskunst
Sonntag, 11.3.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Dieser Hierarchisierung setzte er die katholische Hierarchie entgegen, die jedoch nicht beim Papst endet, sondern über Christus von Gott begründet und erhalten ist. Daher dient diese katholische Hierarchie nicht sich selbst. Sie dient der Aufrechterhaltung oder Wiedergewinnung eines Gottesglaubens.

„Wir sind geistlich Semiten“

Die große Konfrontation erkennt Pius XI. in der Frage der Erziehung. Denn hier geht es um die Zukunft der Menschenwelt. Deshalb empfiehlt er den Eltern, wie er schreibt, „wachsames Misstrauen … und misstrauische, durch bittere Erfahrung aufgerüttelte Wachsamkeit“ (48), damit sie vom Propagandasog der Nazis nicht fortgerissen werden. Und weil er in ihm eine tödliche Gefahr erkennt, greift er sogar zur Drohung der Exkommunikation derer, die die Jugend in die falsche Richtung lenkten, wenn er schreibt: „Heute, wo neue Gefahren drohen und neue Spannungen, sagen Wir dieser Jugend: ‚Wenn jemand euch ein anderes Evangelium verkünden wollte als jenes, das ihr empfangen habt‘ auf den Knien einer frommen Mutter, von den Lippen eines gläubigen Vaters, aus dem Unterricht eines seinem Gotte und seiner Kirche treuen Erziehers – ‚der sei ausgeschlossen‘“ (42). Von einer solchen Exkommunikationsdrohung hat sein Nachfolger nichts mehr gewusst. Hitler ging als formelles Mitglied der katholischen Kirche in den Tod.

Von den Juden und ihrer Drangsal durch die Nürnberger Reichsgesetze, die eineinhalb Jahre davor erlassen wurden, deutete Pius XI. nichts direkt an. Doch wenn er schreibt: „Der gläubige Mensch hat ein unverlierbares Recht, seinen Glauben zu bekennen und in den ihm gemäßen Formen zu betätigen“(37), dann kann man in diesem Satz eine Feststellung erkennen, die wohl allen Gläubigen gilt, auch Juden und Jüdinnen. Immerhin hat Pius XI. dann im Herbst 1938 belgischen Pilgern die christliche Nähe zu Juden und Jüdinnen in der Feststellung zugemutet, dass „wir geistlich Semiten sind“. Als Gegenstück zum Anti-Semitismus der Nazis war das klar verständlich.

Imperativ des Widerstands

Die Stärke dieses Schreibens lag in seiner klaren Sprache. Sie wurde damals viel zu wenig geübt, sie wird auch heute zu wenig gesprochen. Allzu viele Rücksichten schleifen notwendige Kanten ab. Statt klar zu reden, drückt man sich lieber in den Konjunktiv: „man sollte, man könnte, man müsste“, usw. Doch das ist in den Stunden der Entscheidung schlichtweg Verrat gegenüber Bedrohten. Durch diplomatische Konjunktive sind nicht nur viele Zonen in der arabischen Welt und in Teilen Afrikas niedergebrannt und ganze Landstriche ausgezehrt; durch sie hört man auch kaum von Massenfluchten und Morden an Christen und Christinnen in diesen Zonen. Die Angst vor Diktaturen scheint die Sprache zu verwirren, damals wie heute. Stark ist man, wenn es um die Klage geht, dass es christliche Gemeinschaften in Israel nicht gut hätten oder Schlepper Verbrecher seien, weil sie mit denen Geschäfte machen, denen unter anderem wegen der diplomatischen Konjunktive nichts mehr blieb als zerbombte Wohnungen und getötete Angehörige. Hier schafft man leicht eine Sprache der Indikative, denn da riskiert man nichts.

Es geht bei all dem nicht um die Legitimation rhetorischer Drohungen, wie sie Verrückte ausstoßen, von denen gegenwärtig eine erschreckende Zahl in höchste Ämter gefunden hat. Es geht um menschenachtende Wahrnehmung, um klares Denken und um eine klare Sprache, um zu benennen, was zu tun ist. Pius XI. hat sie in seiner Enzyklika „Mit brennender Sorge“ in wichtigen Passagen gesprochen. Für mich heißt das hier und heute, also nach dem Massenmord an Juden und Jüdinnen: die „durch bittere Erfahrung aufgerüttelte Wachsamkeit“ zum Wort zu machen, wenn wieder vermehrt Juden und Jüdinnen Ziele von Angriffen in Wort, Gesang und Tat werden; diese Attacken sind zugleich der Auftakt zu Angriffen auf andere Menschen, auf Fremde, auf Arme, auf solche, die gesellschaftlich für unpassend befunden werden. – Dagegen kann man sich nicht im Konjunktiv stellen; es erfordert den Indikativ und dann auch den Imperativ des Widerstands, heute und in Zukunft.