Bibelessay zu 1. Sam 2, 1 - 2.6 – 8a

Dem überschäumenden Lobgesang der Hanna geht eine dramatische Geschichte voraus. Hanna kann kein Kind gebären. Der Herr, so heißt es im 1. Kapitel des ersten Buches Samuel, hat ihren Schoß verschlossen.

Es ist auch heute für eine Frau schmerzlich, nicht schwanger werden zu können. Eine ganze Industrie ist entstanden, um Frauen bzw. Paaren ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Was aber heute zu einer individuellen, manchmal auch existenziellen Krise führen kann, das war in der damaligen Zeit eine gesellschaftliche Katastrophe. Unfruchtbare, kinderlose Frauen waren stigmatisiert. Sie hatten keinen Status in Familie und Gesellschaft. Darüberhinaus bedeutete Kinderlosigkeit keine Versorgung und Unterstützung im Alter oder auch als Witwe. Dabei war Hannas Mann Elkana durchaus mitfühlend, während seine andere Frau Pennina, die bereits Kinder hatte, Hanna auch noch erniedrigte und sie ihre Schmach spüren ließ.

Thomas Hennefeld
ist Landessuperintendent der evangelisch-reformierten Kirche in Österreich

Lobgesang der Mutter

Jedes Jahr pilgerte die Familie hinauf zum Heiligtum nach Silo, und Hanna betete darum, schwanger zu werden, doch noch ein Kind gebären zu können. Dabei verhielt sie sich so auffällig, dass der Priester dachte, sie wäre betrunken. Sie versicherte ihm jedoch, dass sie nur ins Gebet versunken, sonst aber vollkommen nüchtern sei. Und sie legte ein Gelübde ab: „Wenn Gott mich erhört, dann will ich ihm meinen Sohn schenken.“ Das bedeutete, ihn nach der Entwöhnung mit ungefähr drei Jahren den Priestern zu übergeben, damit er dort zu einem heiligen Mann erzogen werden konnte. Und tatsächlich wurde Hanna erhört. Sie gebar einen Sohn, dem sie den Namen Samuel gab. So hat Hannas Leben eine dramatische Wendung zum Guten genommen.

Sie ist glücklich wie jede Frau, die wider Erwarten ein Kind zur Welt bringt. Und in ihrem Glück öffnet sich ihr Mund und ihre Lippen formen sich zu einem einzigen großen Lobgesang. Sie lobt und preist den einen und ewigen Gott. Sie triumphiert über ihre Feinde, über alle, die sie gedemütigt haben, aber ihr Gebet geht weit über ihre persönliche Erfahrung, ihr persönliches Glück und ihre Genugtuung hinaus. Es weitet und öffnet sich ins Universelle. Es nimmt die ganze Gesellschaft in den Blick. Sie bleibt nicht stehen beim Glück über die Geburt ihres Sohnes sondern singt über die Umkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse und von der Befreiung der Erniedrigten und Unterdrückten. Am Anfang des Liedes ertönt das Horn, hebräisch Schofar, das unterschiedliche Funktionen hatte.

Botschaft für die ganze Welt

U.a. wurde es geblasen bei der Krönung eines Königs. Heute noch leitet das feierliche Schofarblasen im Gottesdienst das jüdische Neujahr ein. Hier ist es eine Anspielung auf den späteren König David, der von Samuel zum König gesalbt wird, und in dem Christinnen und Christen einen Vorläufer des Messias Jesus sehen. Einige hunderte Jahre nach der Niederschrift dieses Gebets wird der Evangelist Lukas diese Worte aufgreifen, im Magnificat, in dem Maria, die Mutter Jesu, ganz ähnliche, für manche erschreckend radikale und revolutionäre Töne anschlägt.

Lebenskunst
Sonntag, 1.4.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Das Besondere an dieser Geschichte Hannas ist, dass am Anfang der Geschichte vom Aufstieg Israels kein Heldenmythos sondern eine Geschichte voller „Zerbrechlichkeit, Überraschung und Treue“ steht, wie es der US-amerikanische evangelische Theologe Walter Brueggemann so treffend formuliert hat. In einem Vers im Lobgesang der Hanna heißt es: Der HERR tötet und macht lebendig, er führt hinab ins Totenreich und führt wieder hinauf. Christinnen und Christen denken bei diesen Zeilen unwillkürlich an das Ostergeschehen. So sehr die Botschaft von der Auferstehung den einzelnen stärken, trösten und beflügeln soll, so sehr ist sie nicht eingeschränkt auf individuelles Heil. So wie beim Lobgesang der Hanna, so sollen auch im Angesicht österlicher Freude die Gesellschaft und die ganze Welt in den Blick kommen.

Für Christinnen und Christen ist es der Eine und Ewige, derselbe Gott, der Hanna erhört hat, wie jener, der in Jesus Mensch geworden ist, ans Kreuz genagelt wurde, ins Totenreich gefahren und auferstanden ist von den Toten. Wie auch schon im Loblied Hannas ist die Botschaft der Auferstehung eine Botschaft für die ganze Welt, die den Armen aus der Asche erhöht und allen neues Leben verheißt.