Wie ein Einheimischer unter euch

Sie kamen im Frühjahr 2012 nach Österreich. Geflüchtet in einer Nacht- und Nebelaktion als verfolgte Christen aus dem Iran.

Zwischenruf 8.4.2018 zum Nachhören:

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Keiner von ihnen sprach bei ihrer Ankunft ein Wort Deutsch, weder Hossein der Vater, ein Geschäftsmann, noch Leila seine Frau, die mit ihm das Textilgeschäft betrieb, noch ihr Sohn und Maturant Mahyar, noch die 14-jährige Tochter Shirin. Kennengelernt habe ich sie als ehrenamtliche Lehrerin in einem Deutschkurs. Betrieben von Freiwilligen unter organisatorischer Mithilfe des Diakonie Flüchtlingsdienstes.

Dr. Gisela Malekpour
ist Superintendentialkuratorin der evangelisch-lutherischen Diözese Niederösterreich

Glauben gefahrlos leben

Die Familie nahm schon bald Kontakt zu der katholischen Pfarrgemeinde vor Ort auf, brachte sich ein und engagierte sich. Ob beim Kirchenputz, beim Kochen für Veranstaltungen, oder beim Schleppen von Kisten für den Flohmarkt, sie waren da, wenn sie gebraucht wurden.

Viele evangelische Pfarrgemeinden machten ähnlich gute Erfahrungen mit ihren neuen Mitbrüdern und Mitschwestern, die sie vorbehaltlos aufgenommen hatten. Gemäß dem Wort aus dem 3. Buch Mose: „Wenn ein Fremdling bei dir in eurem Lande wohnen wird, den sollt ihr nicht schinden. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst.“

Ein Jahr lang besuchte die Familie den Taufunterricht und war stolz, nach der Taufe endlich, und vor allem gefahrlos, frei und offen ihren Glauben leben zu können. Nach 15 Monaten Wartefrist wurde ihnen der Aufenthaltsstatus zugesprochen. Die Kinder besuchten zunächst als Gastschüler das örtliche Gymnasium. Dann wurden sie als reguläre Schüler aufgenommen. Für den 18-jährigen Mahyar bedeutete das zurück in die 7. Klasse und noch einmal 2 Jahre Unterricht, um zur Matura zugelassen zu werden. Er absolvierte sie 2015, nach 3 Jahren in Österreich, mit Bravour und studiert seither an der TU Wien technische Mathematik.

Zielstrebig die Chancen nutzen

Hossein, der Vater, arbeitet seit dieser Zeit in einem metallverarbeitenden Betrieb als Schichtarbeiter. Seine Frau Leila hat im Gastgewerbe Arbeit gefunden. Bald schon wurde durch Unterstützung vieler engagierter Mitmenschen die Anmietung und Einrichtung einer eigenen Wohnung möglich. Vater Hossein absolvierte die österreichische Führerscheinprüfung. Langsam kehrte so etwas wie Normalität und Zukunftsperspektive in der Familie ein.

Zwischenruf
Sonntag, 8.4.2018, 6.55 Uhr, Ö1

Im Sommer 2017 bestand auch die Tochter Shirin problemlos die Matura. Mit der Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium hat es im ersten Anlauf leider nicht geklappt. Ihre Aussage: „Jetzt studiere ich ein Jahr Pharmazie und dann probiere ich es mit der Medizin selbstverständlich noch einmal“, sagt viel über die Zielstrebigkeit der jungen Frau aus.

Weihnachtsgeschenk 2017

In den letzten beiden Jahren machten die Eltern viele Überstunden und Wochenenddienste. Die Kinder arbeiteten neben dem Studium und natürlich auch in den Ferien. Das dadurch extra verdiente Geld wurde zu einem einzigen Zweck in einen gemeinsamen Topf gelegt. Das Ziel war kein Auto, kein Urlaub, keine Luxusartikel. Der einzige Zweck der Ersparnisse diente der Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Als sie die benötigten 5600,-€ beisammen hatten, absolvierten sie die vorgeschriebenen Prüfungen.

Unter dem Christbaum 2017 lagen als einzige Geschenke 4 neue österreichische Reisepässe. Ein schönes Märchen? Nein, Realität! Möglich für Menschen, die ihre Chancen nutzen. Möglich aber nur für Menschen, die ihre Chancen auch bekommen!