Bibelessay zu Apostelgeschichte 1, 1 – 11

Damit ist Jesus also weg. Wieder – so muss man sagen. Denn wenig vorher haben die Jüngerinnen und Jünger ihn auch schon vermisst. Derjenige, dem sie sich anvertraut hatten, für den sie ihr Leben umgekrempelt hatten, war gestorben.

Schlimmer: Er wurde am Kreuz ermordet, und sein Leichnam dann auch noch aus dem Grab gestohlen – so dachten sie. Bis, so erzählen es die Evangelien, sie ihn wiedersehen – als Auferstandenen. Mehrmals begegnet er den Jüngerinnen und Jüngern bis zur letzten dieser Erscheinungen. Dann ist er wirklich weg – aber anders als zuvor. Da ist nicht mehr die Angst, dass alles ein Irrtum gewesen sei. Dass das, wofür er gestanden war, in ein bedeutungsloses Nichts versunken ist. Für die Jüngerinnen und Jünger ist deutlich, dass mit diesem Jesus tatsächlich das Reich Gottes, Gott selbst nahe gekommen ist.

Mirja Kutzer
ist Professorin für Systematische Theologie an der Universität Kassel

Die Funktion des Zeugen

Diese letzte Erscheinung, die sogenannte Himmelfahrtszene, ist in der Apostelgeschichte die Gelenkstelle zwischen der Zeit des Auftretens Jesu und der Zeit der Kirche. In ihr rücken die Jüngerinnen und Jünger nun in eine neue Rolle. Unmittelbar bevor Jesus gemäß dem Text „emporgehoben“ und von einer Wolke aufgenommen wurde, sendet er sie aus: „Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.“ Sie hatten Jesus gesehen und gehört, waren mit ihm gegangen, hatten mit ihm gegessen und getrunken, ihn körperlich gespürt. Den Nachfolgenden wird all dies nicht mehr möglich sein. Sie werden weder sehen, noch spüren, noch greifen können. Sie sind darauf angewiesen, dass die Jüngerinnen und Jünger zu Zeugen und Zeuginnen werden.

Lebenskunst
Donnerstag, 10.5.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Der eigentümlichen Funktion des Zeugen ist der französische Philosoph Paul Ricoeur nachgegangen. Der Zeuge, die Zeugin ist zunächst eine Art Berichterstatter. Das, was geschehen ist, wird in Sprache gefasst. Erst so kann es gesagt werden und erst so kann es gehört werden von denjenigen, die nicht selbst gesehen haben. So ist etwa die Funktion des Zeugen vor Gericht. Durch seinen Bericht macht der Zeuge eine bestimmte Version des Geschehenen wahrscheinlich und ermöglicht so ein Urteil. Doch ist der Zeuge gleichzeitig mehr als ein Berichterstatter, mehr als ein Erzähler. Denn er erzählt nicht nur, er legt Zeugnis ab, und darin rückt die Person des Zeugen in den Vordergrund. Was er sagt, bekräftigt er mit persönlichem Einsatz. Mit Engagement steht er für das Gesagte ein, und das macht ihn glaubwürdig. Im äußersten Fall gibt er für das Zeugnis sein Leben, wird zum Märtyrer.

Jeder urteilt selbst

Diese Funktion des Zeugen in einem allgemeinen profanen Sinn begegnet auch hier, im Text der Apostelgeschichte. Doch schiebt sich hier noch etwas hinein oder darüber, das das profane Zeugnis zu einem religiösen Zeugnis werden lässt. Die Jüngerinnen und Jünger, die Zeugnis ablegen von dem, was sie gesehen und gehört haben, berichten nicht einfach Ereignisse in der Geschichte – auch wenn das wesentlich ist. Wie bei den Propheten Israels liegt die Initiative, zu Zeugen zu werden, nicht bei ihnen. Sie sind gesandt. Auch gehört das Zeugnis ihnen nicht selbst. „Sie wissen weder Zeiten noch Fristen“, so sagt der Text. Vor allem aber legen sie Zeugnis davon ab, dass sie in den Geschehnissen, die sie berichten, vom Absoluten, von Gott berührt wurden.

Wie der Zeuge vor Gericht wollen die Zeugnisse der Jüngerinnen und Jünger freilich auch damit ein Urteil ermöglichen: Ist in diesem Jesus von Nazareth, den sie erlebt, gesehen, gehört und gespürt haben, tatsächlich Gott nahe gekommen? Ob dies die wahrscheinliche Version der Geschichte ist, ob wir den Zeugen Glauben schenken – dieses Urteil liegt bei jedem von uns, die wir nur vom Hörensagen kennen.