Familie auf der Flucht

Dunkelblau, Rot, Ocker! Und dann noch dazu leuchtendes Gold. Was für wunderbare intensive Farben, was für eine fantastische Malerei, denke ich mir jedes Mal, wenn ich vor einem mittelalterlichen Gemälde im Schaudepot des Wiener Belvedere stehe.

Gedanken für den Tag 13.6.2018 zum Nachhören:

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Gemalt hat es der sogenannte Meister von Schloss Mondsee gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Es handelt sich dabei um den Innenflügel eines Altars. Die Schönheit dieser ungemein erzählerischen Malerei lässt mich auf den ersten Blick beinahe vergessen, dass auf diesem Bild ein ernstes Thema zu sehen ist: ein Thema, das noch dazu aktueller denn je ist. Denn es zeigt eine Familie auf der Flucht. Vater, Mutter und Sohn fliehen vor einem gewalttätigen Herrscher. Vor einem Tyrannen, der das Leben des Kindes bedroht. Natürlich handelt es sich hierbei nicht um irgendein Kind. Die dargestellte Szene bezieht sich auf das Leben Jesu und stellt die „Flucht nach Ägypten“ dar. So wird im Matthäusevangelium davon berichtet, dass Josef ein Engel im Traum erschien. Er befahl ihm, mit Maria und Jesus nach Ägypten zu fliehen. Schließlich wolle Herodes das Kind töten.

Johanna Schwanberg
ist Direktorin des Dom Museum Wien

Zuwendung, Asyl und Menschlichkeit

Das Gemälde zeigt in einer für die Zeit ausgesprochen lebendigen Malweise die Heilige Familie auf ihrer unfreiwilligen Reise. Im Vordergrund reitet Maria auf einem Esel und wendet sich liebevoll ihrem Kind zu. Der Esel wird von dem bärtigen Josef gezogen, der noch dazu Hab und Gut auf den Schultern trägt. Im Hintergrund befindet sich eine fantastische Landschaftsdarstellung. Die Ernsthaftigkeit der Situation wird durch eine dynamische Szene am linken oberen Bildrand durchbrochen. Hier hängen Engelchen in einem Dattelbaum und biegen die Äste, um die Heilige Familie mit Nahrung zu versorgen.

Das Bild des Meisters von Schloss Mondsee gefällt mir als unverbesserlicher Optimistin besonders. Denn es bleibt nicht in der Hoffnungslosigkeit verhaftet. Vielmehr erinnert es mich daran, dass es auch in Zusammenhang mit Flucht-Tragödien Aspekte gibt, die mich an das Positive glauben lassen: nämlich Zuwendung, Asyl und Menschlichkeit.

Musik:

Michel Debost/Flöte, Raymond Guiolt/Flöte und Bernard Galais/Harfe: „Trio für 2 Flöten und Harfe a.d. geistlichen Trilogie ’L’Enfance du Christ/Die Kindheit Christi’ / 2. Teil“ von Hector Berlioz
Label: EMI classics 5728572 (2 CD)