Bibelessay zu Lukas 1, 57 - 66.80

Das Lukasevangelium beginnt mit der Erzählung von Elisabeth und Maria und ihren Kindern Johannes und Jesus. Bereits deren Lebensbeginn wird parallel dargestellt: Für beide Mütter ist die Geburt überraschend, die eine ist zu alt für eine Schwangerschaft, die andere zu jung und vor allem unverheiratet – für beide Frauen nicht einfach.

Beiden Frauen wird die Geburt verkündet, bei beiden sind die dazugehörenden Männer ziemlich gefordert, die Nachricht anzunehmen. Die Geburt beider Buben wird erzählt, beide Buben werden gemäß ihrem jüdischen Glauben am 8. Tag beschnitten, beider Namen ist bereits vom Engel angekündigt worden. Die Szenen enden mit einem Lobpreis auf Johannes und einem Lobpreis auf Jesus. Beide wachsen im Verborgenen auf, bevor sie dann als Erwachsene mit ihrer Botschaft öffentlich auftreten.

Helga Kohler-Spiegel
ist katholische Theologin, Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin

Entgegen Erwartungen und Traditionen

In diesem Textabschnitt ist die Geburtslegende von Johannes überliefert. Während die Geburt nüchtern und knapp erzählt wird, folgen anschließend Konflikthaftes und Wunderbares zugleich: Als sein Vater Zacharias vom Engel erfuhr, dass er mit seiner Frau Elisabeth einen Sohn bekommen werde, verschlug es ihm die Sprache, er war verstummt bis nach der Geburt seines Sohnes. Zur Beschneidung nach dem Namen des Kindes gefragt, muss sich Elisabeth mit den Anverwandten auseinandersetzen und durchsetzen. Elisabeth sagt nicht wie üblich den Namen des Vaters, sondern – völlig ungewöhnlich – einen Namen, der in der Familie nicht vorkommt: Johannes – das heißt übersetzt: „Gott ist gnädig“. Der Vater Zacharias bestätigt in Übereinstimmung mit seiner Frau den Namen Johannes. Die Erzählung macht deutlich: Johannes ist ein besonderer Mensch.

Freude über das Kind und Sorge um das Kind begleiten wohl viele Eltern. Die Erzählung rund um Johannes nimmt einen – wie ich finde – schönen Gedanken auf: Die Eltern Zacharias und Elisabeth sind miteinander verbunden, beide sehen sie ihr Kind nicht in der Tradition, beide geben ihm den Namen, den Gott für das Kind vorgesehen hat. Das klingt so einfach: Ein eigenes, so sehr erwünschtes Kind nicht so zu sehen, wie sie es als Eltern sehen wollen, sondern dem Kind die Freiheit zu lassen, sich zu entwickeln – und den eigenen Weg zu gehen. Ein Kind wachsen zu lassen, ohne bereits bei der Namensgebung die Erwartungen von Familie erfüllen zu müssen, das ist wunderbar. Vielleicht ist auch deshalb der Name „Johannes“ gewählt: „Gott ist gnädig“.

Lebenskunst
Sonntag, 24.6.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Und ein zweiter Gedanke sei betont: Zacharias und Elisabeth fügen sich nicht den Erwartungen und Traditionen. Die vorgesehene Namensgebung findet nicht statt. Eigentlich wunderbar. Da kommt ein Baby überraschend zur Welt – und die Eltern überraschen, indem sie nicht das tun, was alle erwarten, sondern das Kind so sein lassen, wie Gott es gedacht hat – mit dem Namen, den Gott für dieses Kind bereithält: „Gott ist gnädig“. Schon am Beginn des Lebens setzen sich die Eltern dafür ein, dass das Kind Johannes nicht sein muss, wie es Familie, Gesellschaft und Tradition erwarten. Das finde ich wunderbar.