Ingmar Bergman, Gottessucher - zum 100. Geburtstag

Man stelle sich vor, die Geschichte hätte sich so zugetragen, wie sie in der Bibel erzählt wird. Abraham, der Vater des Glaubens, erhält von Gott den Auftrag, seinen Sohn Isaak zu opfern. Er macht sich auf ins Land Morija - wild entschlossen, Gott zu gehorchen. Erst im letzten Moment greift ein Engel ein. Das Kindesopfer ist unerwünscht. Ein Widder steht zur Schlachtung bereit.

Exegeten haben sich darum bemüht, dieser rätselhaften Geschichte eine brauchbare Theologie abzugewinnen. Aber die Frage bleibt, was auf dem Heimweg in der Seele Isaaks vor sich gegangen sein mag. Wie er auf seinen Vater blickte, der schweigend neben ihm ging, als wäre nichts geschehen.

Christian Rathner
ist Journalist und Filmexperte

Schwieriges Vater- und Gottverhältnis

Man könnte sich auch fragen, was diese Geschichte in der Seele eines Heranwachsenden anzurichten vermag – umso mehr, wenn er sich mit seinem Vater schwertut. Im Haus des Stockholmer Pastors Erik Bergman hing eine Darstellung des zur Tötung des Sohnes bereiten Abraham. Für Ingmar, den jüngeren der beiden Söhne, verwies das Bild auf den tiefen Konflikt, den er mit seinem Vater hatte. Ein grausamer Gott und ein kalter, strenger Vater, beide vereint in der Absicht, dem Sohn kein Leben zu gönnen. Zwar schreibt der große Regisseur später, er habe seinem Vater wohl oft unrecht getan, aber die Auseinandersetzung mit der Religion, deren Funktionär der Vater ist – und mit Gott, der ihm fremd und fern erscheint, ist tief und überschattet sein Leben. Und produktiv ist sie auch.

Denn Ingmar Bergman begräbt sein schwieriges Vater- und Gottesverhältnis nicht in sich, sondern macht es zum Thema, wirft es, für alle sichtbar und spürbar, an die Leinwand. Gott ist ihm zum übellaunigen Übervater geworden. Seine Beziehung zu ihm beschreibt er als quälend und freudlos, geprägt von „nach Angst stinkenden Gebeten“.

Jahrhundertgenie des Theaters und Kinos

Der schwedische Autodidakt wurde zum Jahrhundertgenie des Theaters und des Kinos. Ab den späten Fünfzigerjahren kreiste er in einigen Filmen mehr oder weniger explizit um Gott. Und immer ist dann auch vom Schweigen die Rede. Etwa in seinem Meisterwerk „Das Siebente Siegel“, in dem der Ritter Antonius Blok aus dem Kreuzzug nach Hause kommt – in ein Schweden, in dem die Pest wütet, Hexen verbrannt werden und religiöse Fanatiker schauerliche Umzüge veranstalten. In Schwarzweiß-Bildern, die sich ins Gedächtnis brennen, zeigt Bergman, wie der Ritter gegen den Tod Schach spielt. Denn er möchte Zeit gewinnen, um zu verstehen. „Gott soll die Hand ausstrecken“, sagt er, „sein Gesicht enthüllen und zu mir sprechen. Aber er hüllt sich in Schweigen. Ich rufe zu ihm in Finsternis. Aber es ist, als wäre niemand da.“

Lebenskunst
Sonntag, 8.7.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Nach langem Ringen wendet sich Bergman ab von der Religion seines Vaters. Der einzige Sinn im Leben ist der, den man ihm gibt, sagt er. Für ihn ist die große Frage beantwortet, und die Antwort lautet: Nein. Es ist eine Flucht vor einer Gottesvorstellung, die tonnenschwer auf den Menschen lastet. Aber es ist keine Flucht in den Zynismus, sondern in eine umso präzisere Frage nach dem Menschen. Ein umso genaueres Beobachten der Gesichter, in denen sich die Seelen spiegeln. Ein wachsames Wahrnehmen von Schatten und Licht.

Bergmans Gottesfrage ist auf meisterhafte Weise gestellt. Denn hinter der verneinenden Antwort kommt sie nicht zum Erliegen. Gerade der verschwiegene, der abwesende Gott wird bisweilen hörbar, bricht aus den Rändern aus wie der Feuerkranz hinter der Sonnenfinsternis. Liebessehnsucht, Sinnsuche, Menschlichkeit. In Begriffen wie diesen bebt die Gottesrede nach. Alles Themen, um die Bergman in seinem Schaffen unaufhörlich kreist.

Da sitzen wir also und spielen Schach mit dem Tod. Und wissen: Einmal setzt der große Gegenspieler seinen letzten Zug.

Und dann? Und Gott?

In seinen späteren Jahren zog sich Bergman zurück auf die Insel Fårö. Dort war er der Natur nah - dem Meer, dem Wind und der Sonne. Seine Faszination für die Magie des Films, die ihn seit Kindheitstagen begleitet hatte, ging bis zuletzt nicht verloren.

Am Ende ist Isaak gerettet, der älter werdende Ingmar Bergman spricht milder von seinem Vater. Gott oder nicht: Die Langsamkeit, die Intensität von Filmen wie „Wilde Erdbeeren“, „Das Schweigen“, „Persona“ oder „Szenen einer Ehe“ ist ein bleibender Impuls, auch für das Filmschaffen von heute - und für ein offenes Denken, das den Zweifel nicht scheut.

Ob der große Gottsucher wirklich einzig in der Verneinung anlangte? Wenn ich in den Himmel komme, sagte er einmal, erwarte ich dort ein Filmarchiv.