Bibelessay zu Amos 7, 12 - 15

„Geh und sei Prophet!“ Lek hinabé: nur zwei Worte im hebräischen Original. Ruf und Auftrag Gottes, bedrängend kurz formuliert. Im Vorjahr habe ich Amos eine ganze Woche gewidmet, im Kurhaus Marienkron im burgenländischen Mönchhof. Bibelarbeit mit einer erfahrenen Gruppe.

„Amos intensiv“: sieben Tage lang an 146 Versen, denn so viele zählt die Schriftrolle mit seinem Namen. Vier Verse daraus für diesen Sonntag. Ein Bibel-Torso, einfach in den Raum gestellt, ohne allen Kontext. Um aber den Sinn dieser Mini-Lesung zu erfassen, braucht es einiges an Hintergrundwissen, religiös wie politisch.

Josef Schultes
ist römisch-katholischer Theologe und Bibelwissenschaftler

„Geh und sei Prophet!“ Amos tritt im 8. Jahrhundert v.Chr. auf; um 760, wie die meisten Fachleute meinen. In Israel herrscht damals eine Art Frühkapitalismus: Elfenbein-Luxus von Großgrundbesitzern im Gegensatz zu Taglöhner-Elend von verarmten Pächtern. Wider diese sozialen Missstände stellt Amos sein hartes Nein: „Hört dieses Wort, die ihr die Armen verfolgt und die Gebeugten im Land unterdrückt!“ (Am 8,4). Scharf prangert er korrupte Machenschaften an: „Ihr sagt, wir wollen das Hohlmaß kleiner und das Silbergewicht größer machen, wir fälschen die Waage zum Betrug, um für Geld die Geringen zu kaufen und den Armen wegen eines Paars Sandalen“ (Am 8,5f). Kritischer Protest eines Gottes-Mannes, zeitlos aktuell. Sein kompromissloses Engagement fasziniert mich.

„Sei Prophet für mein Volk“

„Geh und sei Prophet!“ Wende im Leben des Kleinviehhirten Amos. „JHWH hat mich hinter meiner Herde weggeholt und zu mir gesagt: Geh und sei Prophet für mein Volk Israel!“ (V.15) Rückblick auf seine Entscheidung. An anderer Stelle lautet die Logik seiner Berufung so: „Der Löwe brüllt – wer fürchtet sich nicht? Adonaí JHWH dibér – der Herr JHWH spricht – mi lo jinabé – wer wird da nicht zum Propheten?“ (Am 3,8). Amos stammt aus dem Dorf Tekoa. Es liegt etwa 20 km südlich von Jerusalem, am Übergang des Kulturlandes in die Steppe. Amos lebt und arbeitet also im Klein-Staat Juda. Warum er über die nahe Grenze geht, wissen wir nicht. Auch wie lange er im sogenannten „Nordreich Israel“ Klartext redet, lässt sich nicht mehr feststellen.

Lebenskunst
Sonntag, 15.7.2018, 7.05 Uhr, Ö1

„Geh und sei Prophet!“ Aber anderswo. Diesmal nämlich keine Weisung JHWHs, sondern der Landes-Verweis an Amos. Kein Bleiberecht für den Fremdling. Der Oberpriester von Bet-El zwingt ihn zur Flucht, zurück nach Juda. „An diesem Ort darfst du nicht mehr reden; denn hier ist das königliche Heiligtum und der Reichstempel“ (V.13). Mächtig ist sie, die Allianz von Thron und Altar.

„Kultpropheten“

„Ich bin kein Prophet und kein Prophetenschüler“ (V.14), rechtfertigt sich Amos gegenüber dem amtlich besoldeten Priesterchef. Damit grenzt er sich ab von jener Gruppe, die an der Tempelschule von Bet-El ihr Handwerk brav erlernt. Als einflussreiche „Kultpropheten“ üben sie es dann vor Ort berufsmäßig aus; als Genossenschaft organisiert, erteilen und deuten sie Orakel.

Nur zu gern möchte ich wissen, wie dieser Konflikt ausgegangen ist. Zwischen dem Oberpriester in königlichem und Amos in göttlichem Auftrag. Doch darüber erzählt der Verfasser nichts. Packend geschildert aber eine Konfrontation, ganze vier Verse im Bibeltext. Aus diesem Abschnitt meines geliebten Amos-Büchleins begleitet mich seit vielen Jahren: „Geh und sei Prophet!“