Weihrauch der Worte

Gedanken für den Tag. Heute habe ich keine eigenen. Aber ich möchte Ihnen gerne ein Fundstück vorlesen, das ich bei meiner Recherche entdeckt habe – und das in feinen Erläuterungen „Werbung“ für ein Wiederlesen Claudels macht.

Gedanken für den Tag 10.8.2018 zum Nachhören:

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Stefan Zweig schreibt in Kapitel 31 seiner „Rezensionen 1902-1939“: „Vor einigen Jahren fragte man Faguet, den klügsten der Literaturklitterer an der Sorbonne, um seine Meinung über Paul Claudel. Er antwortete (mit empfehlenswerter Offenheit), er habe keine Meinung über ihn, weil er nie seinen Namen vernommen hätte. Wie sollte er auch! Claudel hat nie in Paris gelebt, nie sich in den Antichambres der Literatur herumgeschmiert. Er hat als Konsul in Tsche-Fu, Peking, Prag und Frankfurt lebend, seine Dramen sich und wenigen zuliebe geschrieben, diese Dramen, die Seelenzustände von so brennender Glut gestalten, dass alles Irdische, Kostüm und Zeit, in ihnen verflackert, Tragödien der Seelen ohne Kulissen voll ekstatischer Bildlichkeit und einem dumpfen Weihrauch der Worte, der die Sinne erregt und betäubt zugleich.

Alexander Tschernek
ist Schauspieler und Radiomacher

Der Katholizismus Claudels

Die Verse – eine Prosa, in der wie von nahen Orgeln Musik unterirdisch wogt – glühen wie der Wein im Ziborium kostbarer Fassung, alles ist Dunkel und funkelndes Blut, von einer berauschenden Bildlichkeit. Nie ist Magie der Metapher im Französischen berückender geworden als in diesem Katarakt der heißsprudelnden Sätze Claudels, mit denen die Menschen ihr ganzes Blut auszuströmen scheinen. Eine sehr dichterische Philosophie, die das ganze Universum gleichsam als Uhrzeiger einer unsichtbaren Stunde – der ewigen Zeit – umdeutet, umrandet dies sein dichterisches Werk und durchdringt es zugleich, das Poetische und die Ekstatik des Glaubens in eine Einheit des Weltbegriffes lösend.

So will der Katholizismus Claudels verstanden sein, der niedersteigt in die glühende Inbrunst des Willens zum Wunder, in die mystische Ekstase. Ein Katholizismus, der im letzten aber nicht feindlich, sondern dem hymnischen Überschwang, dem Pantheismus brüderlich ist, durch die Rotglut des dichterischen Bekennens, in dem alle Begriffe hinschmelzen an der Flamme ekstatischen Weltgefühles.“ Vielen Dank dir, Stefan Zweig... Deinen Worten zu Paul Claudel kann ich nichts hinzufügen. Bonjour. Ich wünsch Ihnen gute Gedanken für heute.

Musik:

Friedrich Gulda/Klavier: „Anime - 3. Satz“ aus: Sonatine für Klavier in fis-moll von Maurice Ravel
Label: Amadeo 4230432 (2 CD)

Buchhinweis:

Stefan Zweig, „Rezensionen 1902 - 1939“, Fischer Taschenbuch

Link:

Alexander Tschernek