Krönung Marias

Einfühlsam hat ein Bildhauer um 1225 die Vor- und Nachgeschichte der Aufnahme Mariä in den Himmel am Südportal des Straßburger Münsters dargestellt:

Gedanken für den Tag 16.8.2018 zum Nachhören:

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Das linke Tympanonrelief zeigt die eben verstorbene Mutter Jesu auf dem Totenbett. Die zwölf – durch Engel von ihren diversen Missionsorten durch die Luft herangetragen – Apostel umstehen den Leichnam. Einige wirken gefasst. Andern ist der Schmerz ins Gesicht geschrieben. Händeringend hockt eine Frau auf dem Boden.

Unerreichbar Verehrte

Schon heben Petrus und Paulus – am Kopf- und Fußende des Betts stehend – den Leichnam an, um ihn zum Begräbnisort hinauszutragen. Da ist – offenbar von den Jüngern unbemerkt – Christus erschienen. Mit seiner Rechten segnet er den Leichnam, während er in seiner Linken das kleine Figürchen eines betenden Mädchens hält. Es ist die Seele seiner Mutter, die er gleich mit sich nehmen wird, wenn er in den Himmel zurückkehrt. Das Relief im Tympanon des rechten Portals zeigt die Konsequenz: Maria hat im Himmel auf einer Thronbank zur Linken ihres Sohnes Platz genommen. Christus krönt ihr demütig geneigtes Haupt. Maria bedeutet mit ihrer Rechten, sie sei dieser Auszeichnung nicht würdig. Christus widerspricht, indem er sie segnet.

Martina Pippal
ist Kunsthistorikerin und Künstlerin

Weil der Bildhauer im sogenannten „Muldenfaltenstil“ arbeitete, also die Gewänder wiedergab, als schmiegten sie sich als dünne, eng gefältelte Textilien um organisch geformte Körper, und die Gefühle der Protagonisten zeigte, erscheinen Marientod und -krönung als etwas Wirkliches, effektiv mit Händen Greifbares. Tatsächlich sind die Geschichten rund um den Tod Mariä Legenden. Spätestens seit dem 3. Jahrhundert werden sie – insbesondere im östlichen Mittelmeerraum – erzählt. Nichts davon steht in der Bibel, ganz zu schweigen von der Existenz historischer Anhaltspunkte. Und die Idee von Maria als Himmelskönigin ist ein rein theologisches Konstrukt.

Aber warum wurden diese Legenden und Konstrukte an Kathedralen und in Kirchen so oft dargestellt, gerade um 1200, in einer Zeit, als die Philosophen unter den Theologen verstärkt Ratio und Logik einforderten? Weil der Himmel eine Bluebox ist, Projektionsort für die unterschiedlichsten Bedürfnisse: So entstand im 12. Jahrhundert, als der strenge Richter-Gott gegenüber dem mitfühlenden Christus zurücktrat, emotionale Beziehung zwischen Sohn und Mutter, worin sich das neue Stadtbürgertum wieder fand. Andererseits wurde Maria – im Sinne der Hohen Minne – zur unerreichbar Verehrten überhöht, was den Adel bediente. Und schließlich verschmolz die überhöhte, ja in den Himmel erhöhte Himmelskönigin mit Ekklesia, mit der Institution „Kirche“, der jungfräulichen Braut Christi, als welche sich der Klerus verstand.

Musik:

BartolomeyBittmann: „Meridian“ von Matthias Bartolomey und Klemens Bittmann
Label: Milchrecords BB01