Bibelessay zu Johannes 6, 51 - 58

Das Johannesevangelium, verfasst von einem Judenchristen um das Jahr 100 nach Christus, hat einen eigenen Stil. Manches trägt es sehr dick auf, es ist durchsetzt von antijüdischer Polemik, Kontraste in schwarz-weiß dominieren, und über alle erhaben ist der Christus dieses Evangeliums.

Sein Reden macht deshalb mitunter den Eindruck, seine Umgebung sei einfach borniert, begriffsstützig oder dumm. Die Hoffnung, dass seine Mitmenschen endlich kapieren, was er meint, schwindet jedoch im Lauf des Evangeliums. Es sind ja auch harte Brocken, die aufgeboten werden.

Wolfgang Treitler
ist katholischer Theologe und Judaist

Schwer verdauliche Brotrede

So einen Brocken liefert auch dieser Abschnitt, der in den katholischen Kirchen gelesen wird und zur sogenannten „Brotrede“ gehört. Es ist scheinbar ganz real und zugleich schwer verdaulich, wenn es im Mund Christi heißt: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm.“

Der gebildete Christenmensch versteht sofort, worum es hier geht: um die Wesensverwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Man nimmt beides bei der Kommunion zu sich, und so ist Christus in die Christglaubenden eingegangen und sie in ihn.

Dieses Verständnis legte man im 13. Jahrhundert fest, als man die Wesensverwandlung zum Dogma erhob und damit sagte, die Verwandlung von Brot und Wein geschehe real, man esse also den Leib Christi wirklich und trinke auch sein Blut wirklich.

Pessach und Schabbath

12 Jahrhunderte davor sitzt man in der Synagoge von Kphar Na‘um. Dort wissen weder Christus noch die anderen Juden etwas von diesem Dogma – mehr noch: Sie können daran gar nicht denken. Der Grund ist klar und einfach: Blutgenuss war und ist im Judentum aller Zeit immer verboten gewesen. Das wissen Christus und die Juden, das weiß auch der Schreiber des Johannesevangeliums – und das kann man auch heute wissen, wenn man sich von christlicher Seite aus ein wenig in jüdische Traditionen einlässt.

Lebenskunst
Sonntag, 19.8.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Wenn das so ist, dann lässt sich dennoch gut erschließen, was Christus sagt, wenn er von diesem Essen und Trinken spricht. Wein und Brot gehören nämlich in der jüdischen Überlieferung sowohl zu Pessach, also zur Feier des Auszugs aus Ägypten, als auch zum Schabbath, weil an jedem Schabbath über Wein und Brot der Segen gesprochen und beides genossen wird.

Christus identifiziert sich selbst mit genau diesem Wein und diesem Brot und sagt damit etwas, was ihn deutet: Er gehört zu Pessach, und er gehört zum Schabbath – und beides läuft in seiner Passion schließlich zusammen. Er wurde von den Römern gekreuzigt vor Pessach, und sein wirkliches Geheimnis fällt mit dem Karsamstag zusammen, also mit einem Schabbat, der zwischen der Hinrichtung am Freitag und den ersten Zeuginnen der Auferweckung am ersten Tag der Woche liegt.

Freudenbotschaft

Das ist die große Botschaft, die aus diesen Zeilen heute spricht: Jesus identifiziert sich mit dem Exodus und mit dem Schabbath. Seine Passion ist deutbar als Exodus, als Auszug in den Schabbath Gottes hinein, in die gerettete Ruhe bei Gott. Dieser Schabbath ist also das Siegel des ganzen Lebens Jesu, das seine Hinrichtung und seine Auferweckung einschließt.

Diese große Botschaft stellt damit auch große Fragen: Lassen Christinnen und Christen diese Selbstidentifikation Christi mit Exodus und Schabbath wahr sein? Lassen sie diese Selbstidentifikation überhaupt zu? Und wollen oder können sie glauben, dass das ewige Geheimnis Christi dem Schabbath, also der heiligen Ruhe Gottes gehört, die jedem christlichen Gottesdienst den entscheidenden Grund des Feierns und Dankens gibt?

Hier geht es nicht um Möglichkeiten oder Wahrscheinlichkeiten; hier geht es um wirksamen und dankbaren Glauben, und dieser Glaube setzt wie Jesus alles auf Gott, teilt das auch mit im Trinken von Wein und im Essen von Brot und lädt zu einem solchen Glauben andere ein. Diese Freudenbotschaft kann man auch in solchen Texten wie der schwer verdaulichen Brotrede finden.