Reformstopp

Mit dem Jahr 1968 wird ein Aufschrei nach mehr Freiheit verbunden. Zumindest zweimal erlebte ich damals mit, wie Reformbestrebungen vom jeweiligen Apparat gestoppt wurden – mit Gewalt im Kommunismus, mit subtileren Maßnahmen in der katholischen Kirche.

Gedanken für den Tag 8.9.2018 zum Nachhören:

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Am 21. August wachte ich, gerade aus England heimgekehrt, mit der Radiomeldung auf, dass Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei eimarschiert waren. Aufmerksam verfolgten wir im Radio und Fernsehen die weiteren Entwicklungen. In lebhafter Erinnerung ist mir noch der dramatische Appell eines tschechischen Fernsehsprechers an die „Freunde in Österreich“, weiter über die wahre Situation in alle Welt zu berichten, in seinem Land werde das in Kürze nicht mehr möglich sein. Die Machthaber im Ostblock bereiteten dem „Prager Frühling“ und damit dem Versuch, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen, ein jähes und brutales Ende.

Heiner Boberski
ist Journalist und Autor

Wer zu spät kommt...

Nicht so ruckartig gingen in der katholischen Kirche die Fenster, die das Zweite Vatikanische Konzil öffnen wollte, ab 1968 wieder zu. Mag sein, dass mancherorts ungeduldige Reformer den Bogen überspannten, zum Beispiel in Holland. Damals trennten sich jedenfalls die Wege der beiden prominenten, an der Universität Tübingen lehrenden Konzilstheologen Joseph Ratzinger und Hans Küng. Ratzinger wechselte ein Jahr später vom liberalen Tübingen ins konservative Regensburg und machte in der Hierarchie Karriere – bis zum Papst.

In Österreich ging das Jahr 1968 mit der Bekanntgabe des überraschenden Rücktritts des Grazer Bischofs Josef Schoiswohl am Silvestertag zu Ende. Der vom Zweiten Vatikanum geprägte steirische Oberhirte war in Rom in Ungnade gefallen, da er Laien predigen und die Kommunion austeilen ließ und sich für eine Lockerung der Zölibatsvorschriften einsetzte.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, lautet ein Michail Gorbatschow zugeschriebener Satz. Mit Blick auf 1968 muss man sagen, dass auch jene leiden, die als erste versuchen, verkrustete Strukturen aufzubrechen.

Musik:

Mary Hopkin: „Those were the days“ von Gene Raskin
Label: Bridge 1000392