Bibelessay zu Markus 8, 27 – 35

Massive Umbruch- und Krisensituationen betreffen häufig nicht nur Teilbereiche des Lebens, sondern die ganze Person. Die Frage, wer wir selbst sind und wie uns andere sehen, stellen Menschen verstärkt in Situationen, in denen sich etwas Wichtiges in ihrem Leben verändert, in denen die eigene Identität unsicher ist.

Rückmeldungen von anderen Personen sind dann besonders wichtig. So geht es auch Jesus.

Helga Kohler-Spiegel
ist Professorin an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg im FB Human- und Bildungswissenschaften, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und (Lehr-)Supervisorin, Feldkirch

Veränderung ohne Gewalt

Dieser Abschnitt markiert genau die Mitte des Markusevangeliums. Bei einem Fußballspiel würden wir sagen: „Halbzeit“. Wichtiges ist schon passiert, Vieles ist noch möglich, Entscheidendes steht bevor. Es ist Halbzeit auf dem Weg Jesu, und es ist grad ziemlich schwierig: Der Rabbi, der Lehrer Jesus ist mit seinen Jüngern unterwegs. Mit dem Begriff „Jünger“ bezeichnete man zur Zeit Jesu die erwachsenen Schüler eines Rabbi, bei Jesus waren auch Frauen, Schülerinnen, mit dabei. Jesus zieht Bilanz: Er hat sich engagiert für die Menschen, hat Kranke geheilt, hat Dämonen ausgetrieben, er hat sich mit religiösen Regeln auseinandergesetzt und diese wieder dem Wohl der Menschen untergeordnet. Er ist in Auseinandersetzung mit den religiös Mächtigen gegangen. Und dann stellt Jesus seine Bilanzfrage: Für wen halten mich die Menschen? Und: Für wen haltet ihr mich? Wie seht ihr mich? Wer bin ich für euch?

Christus ist das griechische Wort für „Messias“. Messias heißt auf Hebräisch „der Gesalbte“, der im Judentum seit über 2500 Jahren bis heute erwartete Erlöser, der Frieden bringen wird. Die Mitte des Markusevangeliums macht deutlich: Ja, Jesus ist der erwartete Messias. Aber er ist es auf völlig andere Weise als erwartet. Jesus macht immer wieder klar, dass die Erlösung nicht von außen kommt, dass nicht Gott eingreift in die Welt, sondern dass es an den Menschen liegt. Wir Menschen, ich selbst entscheide, ob ich die Hand zur Faust balle oder ob ich sie öffne und einem anderen Menschen reiche. Ich entscheide, ob ich gut oder schlecht über einen Kollegen rede, ob ich jemandem verzeihe oder nicht. Jesus macht deutlich: Die Veränderung der Welt geschieht nicht durch das Handeln Gottes. Sondern so ganz anders: durch das Handeln der Menschen, die leben wie er.

Lebenskunst
Sonntag, 16.9.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Und noch etwas mag ich in diesem Abschnitt ansprechen: Jesus weiß, dass seine Worte und seine Taten den Mächtigen nicht passen, er weiß, dass sie zu Folter und Leiden und Ermordung führen können, führen werden. Das ist grausam. Wenn Jesus dann zu Petrus sagt: „Weg mit dir!“ ist diese Übersetzung ungenau. Wörtlich übersetzt heißt es im Griechischen „Hinter mich!“ Damit fordert Jesus auf, wieder „hinter Jesus“, also in die Nachfolge einzutreten, seinen Weg mitzugehen. „Satan“ ist ein scharfes Wort – es ist der Gegenpol zu Gott selbst. „Du hast nicht im Sinn, was Gott will“ – das sagt sich so leicht. Jesus fordert Petrus auf, sich einzulassen auf die Botschaft Jesu, auf die Veränderung ohne Gewalt, mit aller Konsequenz. Schon damals haben Jesus und die Jünger erlebt, wie unendlich schwer das sein kann.