Übermenschlich, allzu menschlich

Friedrich Nietzsche hat sich gerne mit Menschlichem, allzu Menschlichem beschäftigt.

Gedanken für den Tag 27.9.2018 zum Nachhören:

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Zum Thema der Schuld meint Nietzsche, dass unser Leben eingewoben ist in ein verpflichtendes und übermächtiges Geben und Nehmen. Dass sich unsere Zivilisation durch gegenseitige Schuld- und Schulden aufrecht halte, die sich über die Generationen ziehen. Den Ahnen gelten die Opfer, ihnen gelten die Gebete, ihnen wird für das Leben gedankt. So groß stellten sich die Menschen ihre Schulden gegen die Ahnen vor, meint Nietzsche, dass sie die Altvorderen mit der Zeit zu Göttern und Göttinnen gemacht hätten.

Oliver Tanzer
ist Wirtschaftsjournalist bei der Wochenzeitung „Die Furche“

Schuldendruck aus der Zukunft

Für uns scheint all das heute jenseits von Gut und Böse zu liegen. Was aber, wenn sich diese Weltsicht in veränderter Form erhalten hätte? Nicht, dass wir immer noch glaubten, unsere Ahnen seien Götter. Nein, die Moderne drehte die Frage um und impfte sie den Menschen quasi ins Unbewusste. Die neue Frage lautet nun: Wie können wir selbst Götter werden?

Das klingt verrückt, könnte aber erklären, warum der modernde Mensch trotz Reichtums und Fortschritts so oft Opfer der Melancholie und des Pessimismus wird. Dass er dann aus Heimweh gerne vor seiner Aufgabe flieht, zurück zu den Ahnen und ihrer Taktik. Zu den Mauern, den Stammesgesellschaften, zum Rassismus, zur Gewalt. Weil er seinem eigenen Erwartungs-Druck nicht standhält. Aber das ließe sich beheben.

Wir müssten nur annehmen, dass nicht wir selbst es sind und schon gar nicht die Toten, denen wir etwas schulden. Sondern, dass unser Schuldendruck aus der Zukunft kommt und dort auch unsere Verantwortung liegt. Bei jenen Generationen, die uns entstammen und die hier leben sollen ohne Hunger, Katastrophen und Kriegen. Dann wäre dem Menschen gleichsam die Zivilisierung seiner Selbst gelungen und der Größte seiner Fortschritte überhaupt. Selbst Nietzsche würde sich in Lobpreisungen ergehen. Von wegen Übermensch!

Musik:

Björk und Orchester unter der Leitung von Vincent Mendoza: „New world“ aus: DANCER IN THE DARK / Original Filmmusik von Björk Gudmundsdottir, Sjon Sigurdsson und Lars von Trier
Label: Polydor/Universal 5492042