Bibelessay zu Weish 2,1a.12.17 – 20

Die wenigen Verse gehören zur jüngsten Schrift des Ersten Testaments, das traditionell Altes Testament genannt wird. Die alte Kirche hat dieses jüdische Buch hoch geschätzt und durch die Aufnahme in die Sammlung der biblischen Bücher bis heute bewahrt.

Das „Buch der Weisheit“, auch „Weisheit Salomos“ genannt, ist ein jüdischer Text, nahe zur Zeit Jesu in griechischer Sprache geschrieben - von einem Juden für Jüdinnen und Juden. Naheliegend könnte seine Verwendung als eine Art Schulbuch in jüdischen Schulen sein, weil es auf besonders feinem sprachlichen und rhetorischen Niveau wirbt. Es ermutigt zu einer treuen jüdischen Lebensweise, die trotz aller Schwierigkeiten und Infragestellungen Gott vertraut.

Martin Jäggle
ist katholischer Theologe, emeritierter Professor für katholische Religionspädagogik an der Universität Wien und Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit

„Verkehrte Gedanken“

Ganz am Beginn des Buches steht die Aufforderung an die „Richter der Erde“: „Liebt die Gerechtigkeit!“ Für den Autor ist nur ein Gerechter wirklich ein König. Erschreckend aktuell sind seine Beispiele für die „verkehrten Gedanken“, die heute der Leseordnung der katholischen Kirche entsprechend ausgelassen wurden:

„Auf, lasst uns die Güter des Lebens genießen und die Schöpfung auskosten, wie es der Jugend zusteht. Erlesener Wein und Salböl sollen uns reichlich fließen, keine Blume des Frühlings darf uns entgehen. (…) keine Wiese bleibe unberührt von unserem Treiben. Lasst uns den Gerechten unterdrücken, der in Armut lebt, die Witwe nicht schonen und das graue Haar des betagten Greises nicht scheuen! Unsere Stärke soll bestimmen, was Gerechtigkeit ist; denn das Schwache erweist sich als unnütz.“

Tod oder Gerechtigkeit

Aus der Sicht der Weisheit hat Gott sich in der Schöpfung und der Geschichte als „Freund des Lebens“ gezeigt. Von ihm trennen solche „verkehrte Gedanken“ und „unser Leben“ gilt folglich als „kurz und traurig“, es „löst sich auf wie ein Nebel“. Wer sich für Gottlosigkeit, für Genuss auch auf Kosten von Schwächeren, für Geltung und Macht entscheidet, erkennt nur den Tod als jene Wirklichkeit an, auf die man sich letztlich verlassen kann. Und in diesen selbstgewählten Tod werden sie dann auch endgültig versinken. Aber jeder Mensch kann die Weisheit als „Innenseite“ der Gerechtigkeit lernen, soll sie begehren, mit ihr zusammenleben und sie als Geschenk von Gott erbitten.

Lebenskunst
Sonntag, 23.9.2018, 7.05 Uhr, Ö1

„Liebt die Gerechtigkeit!“ steht am Beginn. Wer die Gerechtigkeit heute lieben will, wird vielleicht zur Ermutigung das ganze „Buch der Weisheit“ lesen, alle 19 Kapitel, aber keine Sorge: Dieses Buch hat eine Form der Werbung, die Lesende nicht nötigt, sondern ihnen die Freiheit der Zustimmung lässt. Die Frage, mit der sie das Buch konfrontiert, ist: Wollen sie sich für den Tod als letzte maßgebliche Wirklichkeit entscheiden oder für die Gerechtigkeit und damit für den zu unvergänglichem Leben berufenden, wahren Gott?