Bibelessay zu Num 11, 25 – 29

Wenn man in Google das Wort Pneu eingibt, erhält man als erstes ein Angebot von Autoreifen zu den besten Preisen. Surft man ein wenig weiter, erfährt man auch, warum der Pneu Pneu heißt. Wie viele andere Wörter hat auch der Pneu seine Wurzeln im alten Griechenland. Pneuma bedeutet Luft, Wind; erst die Luft im Reifen macht den Pneu.

Pneuma bedeutet aber auch Atem, Geist, Seele. Im Buch Genesis schwebt der Geist Gottes über der Urflut – auf Hebräisch heißt dieser Geist ruah und ist weiblich. Die ruah – das pneuma – der Geist: schon das zeigt, dass der Geist schwer zu fassen ist. Im Lateinischen heißt der Geist Spiritus – und jede Hausfrau weiß, wie flüchtig Spiritus ist.

Franz Josef Weißenböck
ist katholischer Theologe, Psychotherapeut und Autor

Jeder und jede

Auf 70 Älteste wird, wie das Buch Numeri erzählt, der Geist gelegt. Die Vorgeschichte: Das Volk murrt und sehnt sich zurück nach den Fleischtöpfen Ägyptens. Mose fühlt sich überfordert. Zu seiner Entlastung sollen 70 Männer eingesetzt werden. Bis da hat alles seine Ordnung: 70 ausgewählte Männer – es kamen damals nur Männer in Frage – waren außerhalb des Lagers versammelt, beim Offenbarungszelt. Der Geist erfüllte sie. Aber da gibt es zwei, die nicht zum Offenbarungszelt gegangen sind. Eldad und Medad sind im Lager geblieben. Dennoch erfüllt sie der Geist Gottes.

Wollte man die Situation in unsere Zeit übertragen, wäre es wohl umgekehrt: Die im Lager der Kirche sehen es nicht gern, wenn der Geist auch außerhalb ihrer Mauern wirkt. Über derartige Abweichungen geraten die Wächter über Sitte und Ordnung aller Zeiten in helle Aufregung. Das geht doch nicht, das darf nicht sein, das muss verhindert werden – und überhaupt: Da könnt‘ ja jeder kommen!

Lebenskunst
Sonntag, 30.9.2018, 7.05 Uhr, Ö1

In der Tat könnte jeder kommen – jeder, aber auch jede. Die Antwort, die Mose den aufgeregten Bedenkenträgern gibt, drückt es so aus: Wenn nur das ganze Volk zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte!

Flüchtig und nicht zu fassen ist der Geist

Er hält sich weder an Vorschriften noch lässt er sich in Dogmen sperren. Der Geist erfüllt weder alle Amtsträger noch erfüllt er nur die Amtsträger. Er macht keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Da hilft keine Dogmatik, da nützt kein Aufgeregtsein. Und es gibt keine Garantie. Nicht in der Kirche, nicht für die Kirche. Sie darf hoffen, nicht ganz abzukommen vom Weg Jesu. Sie darf hoffen, von Abwegen, Holzwegen und Irrwegen wieder zurückzufinden in die Spur Jesu. Dazu braucht es ein offenes Ohr und ein offenes Herz für die Stimmen von Prophetinnen und Propheten.

Der Geist lässt sich weder zähmen noch einhegen. Aber er ist lebensnotwendig: Ohne ruah – pneuma – spiritus – Atem – Geist kein Leben. Geist ist Leben, und Leben ist Bewegung. Christlicher Glaube ist kein Lehrsystem, ja nicht einmal eine Religion, sondern ein Weg, ein way of life, eine Bewegung, ja eine Be-Geisterung. Es ist wie beim Pneu: Ist die Luft heraußen, ist es vorbei mit Bewegung und Leben.