Bibelessay zu Jakobusbrief 5, 13 – 16

Seit Martin Luthers Verdikt, der Jakobusbrief sei eine „stroherne Epistel“, ist das Image dieses Briefes angeschlagen. In dem Schreiben eines unbekannten Verfassers vom Ende des ersten Jahrhunderts geht es um viel verschiedenes, darunter auch um das Gebet.

Und lange Zeit meinte man, der Text widerspreche ausdrücklich der Botschaft des Paulus, dass nämlich „der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (Röm 3,28), - also dass man, um sozusagen in den Himmel zu kommen, nicht Gutes tun müsse, sondern dass der Glaube der Menschen dafür ausschlaggebend sei.

Christoph Weist
ist Journalist, Publizist und emeritierter evangelischer Pfarrer

Gebet und Liebesgebot

Der Jakobusbrief erklärt dagegen schon auf den ersten Seiten, der Glaube sei, „wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber“. (Jak 2,17) Ein Grundsatzstreit?

Heute hat man erkannt: Paulus versteht unter „Werke“ vor allem die Beachtung jüdischer Ritualvorschriften, der Verfasser des Jakobusbriefes die Erfüllung der ethischen Forderungen der Tora. Auch für Paulus sind die Einhaltung der Tora und das Liebesgebot sehr wichtig. Der so genannte Jakobus aber denkt ganz praktisch an seine Gemeinde. Hier muss sich konkret zeigen, was Glaube bedeutet. In Wahrheit ergänzen sich beide, Paulus und der Jakobusbrief, auf dem Boden jüdischer Tradition.

Und mitten hinein in das Leben der frühen Christengemeinde führen die gar nicht „strohernen“ Ratschläge des Jakobusbriefes, etwa für das Gebet. Sie mögen heute etwas naiv klingen, haben aber ihre guten Gründe.

Psalmen zu singen, wenn es einem gut geht, zeigt Dankbarkeit für das Leben. Zu beten in Betroffenheit und Leid - auch das ist ein Zeichen dafür, dass man sich nicht allein weiß.

Lebenskunst
Sonntag, 7.10.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Reden vom Menschen

Man mag, wie manche Ausleger des Jakobusbriefes, in dem Ratschlag „Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn“ eine Art Exorzismus sehen, der nach damaligem Verständnis in der Macht der Gemeindeleiter stand. Die Bekräftigung in unserem Text „Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist“ zeigt, dass es um etwas Tieferes geht: um den schwierigen Vorgang zwischen Mensch und Gott beim Gebet.

Menschen reden zu Gott, und indem sie ihn um etwas bitten, etwa um Genesung von Krankheit, reden sie vom Menschen. Sie tun das im Vertrauen auf Gottes unbegrenzte Macht, seine Güte und seine Weisheit. Sie allein kann entscheiden, was für den Menschen gut ist. Und der oder die Betende überlässt sich ihr in der Zuversicht auf Gottes umfassende Liebe.

Anleitungen zur Lebenskunst

Das ist es, was beim Gebet geschieht. Es ist kein „Werk des Gesetzes“ und es bewirkt keine Wunder im objektiven Sinn, auch zur Zeit des Jakobusbriefes sind Gemeindemitglieder krank geblieben und gestorben. Es macht aber Mut und verleiht Zuversicht, es richtet auf. Davon, was das Gebet - etwa in der Form des katholischen Rosenkranzgebets - auslösen kann, ist heute in dieser Sendung die Rede. Vor allem aber schafft das Gebet bei einem Menschen das Gefühl, umschlossen zu sein von einer Macht, die ja zu ihm sagt. In der handfesten Sprache des Neuen Testaments: „Wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden“.

Nein, es sind keine „strohernen“ Lehren, die der Jakobusbrief erteilt, es sind Anleitungen zur Lebenskunst. Und sie sind es wert, auch an einem Sonntagmorgen in unserer Zeit sorgsam bedacht zu werden.