Klagemauer
Gedanken für den Tag 7.11.2018 zum Nachhören:
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Hier wurden sie oft über Tage hinweg wartend stehen gelassen. Danach wurden ihnen die Haare geschoren und sie waren permanenten Demütigungen ausgesetzt. Am Ende dieser Prozedur hat man ihnen ihren Namen genommen und ihnen stattdessen Nummern gegeben. Man hat den Häftlingen alles Persönliche genommen und ihnen jede Form der Individualität geraubt. Bei meinen Rundgängen mit Schülergruppen passiert es auffallend oft, dass dieser Ort heftige Reaktionen hervorruft. Klassen, die zuvor noch lautstark mit sich selbst beschäftigt waren, verfallen plötzlich komplett in Schweigen, und Klassen, die zuvor still waren, starten auf einmal heftige Diskussionen. Warum ist das so? Für die Generation, die wie keine andere die Möglichkeit zur individuellen Entfaltung hat, ist der Raub von Individualität eine nur schwer fassbare Grausamkeit.
Barbara Glück
ist Geschichts- und Politikwissenschaftlerin und Direktorin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen
Die Individualität des Menschen
„Mit vielen meiner Kolleginnen und Kollegen streite ich oft, weil sie nicht mögen, wie ich bin“, hat mir einmal eine junge Schülerin erzählt, nach unserem Gespräch an der Klagemauer. „Aber sie würden mir niemals verbieten, so zu sein, wie ich bin“.
Die Akzeptanz von Persönlichkeit und Individualität ist tiefer verankert in der Generation unserer Kinder, als wir ihnen oft zutrauen. Soziale Medien und die permanente Vernetzung mit eigentlich der gesamten Welt sind weit mehr als stumpfe Unterhaltung für diese Jugendlichen. Sie sind der Ort, der jeder Persönlichkeit maximalen Raum zur eigenen Entfaltung gibt, in dem sie genau das sein können, was sie möchten. Mit allen positiven und allen negativen Konsequenzen. Das gilt es zu beschützen, es wertzuschätzen: die Individualität jedes Menschen.
Musik:
„La Vie“ von Kurt Adametz
Label: ORF-Enterprise Musikverlag / ORF-E-CD0108