Bibelessay zu Matthäus 5, 1 – 12a

Das Allerheiligenfest, das am 1. November im Kirchenkalender eingeschrieben ist, hat eine lange Tradition. Bereits im 4. Jahrhundert wurde es im Orient gefeiert und im Abendland ist es seit dem Jahr 610 mit dem Kirchweihfest des römischen Pantheons verbunden.

Was feiert die Kirche heute und wer sind die Heiligen? Viele Menschen könnten wahrscheinlich mit dem Begriff der Scheinheiligkeit mehr verbinden als mit der Berufung zu Heiligkeit. Wer ist eine Heilige oder ein Heiliger? Warum überhaupt Heiligsprechungen, wie vor einigen Wochen wieder in Rom geschehen? Und sind nicht die Lebensbiografien der Heiligen oft verkitscht und meist verstaubt, wie ihre Figuren in den Altarnischen vieler Kirchen? In Zeiten, da der Taufname eines Kindes von großen Heiligen genommen und der Namenstag auch noch gefeiert wurde, war zumindest ein Nahverhältnis zu Heiligen eher gegeben.

Pater Karl Schauer
ist Bischofsvikar der Diözese Eisenstadt für die Bereiche Wallfahrtswesen, Tourismusseelsorge und Berufungspastoral

Provokation Gottes

Ich verstehe auch diese Entfremdung vieler Menschen, wenn sie meinen, ihnen hätten diese Frauen und Männer, diese Heiligen von gestern und vorgestern nichts mehr zu sagen. Auch ich hatte solche Denkansätze, die meist aus einer sehr oberflächlichen Sichtweise und Beurteilung entstanden sind.

Es kann hier nicht alles gesagt werden, nur einiges, das mich nachdenklich macht. Heilige sind die Zuwendung Gottes in der konkreten Herausforderung der Geschichte dieser Welt. Benedikt von Nursia hat den Heimatlosen, Vertriebenen und Verirrten eine Heimat gegeben. Dominikus hat durch das Wort den geistig Verödeten Würde geschenkt, Maximilian Kolbe konnte sich mit vielen anderen der menschenverachtenden Ideologie nicht beugen und eine Mutter Teresa konnte sich niemals damit abfinden, dass der sterbende hilflose Mensch zum Müll der Gesellschaft wird. Die vielen heiligen Frauen und Männer, die Schulen, Spitäler, Hospize gegründet haben, konnten durch ihre Orden und Einrichtungen diese Welt nachhaltig verändern.

Heilige sind eine Provokation Gottes, sein Aufschrei gegen Ungerechtigkeit, Krieg, Vereinsamung, Ausgrenzung und Not in ihren vielen Fratzen. Heilige stehen immer auf Seiten der Armen und nicht der Privilegierten.

Gemeinschaft der Heiligen

Heilige sind der unbequeme Stachel im Gefüge der Kirche. Franziskus von Assisi hat die Kirche seiner Zeit und der folgenden Jahrhunderte davor bewahrt, sich im Reichtum zu verrennen. Erzbischof Oscar Romero hat die Verantwortlichen für das Elend beim Namen genannt und musste dafür als Märtyrer sterben und Papst Paul VI. hat Mut erwiesen, trotz aller Widerstände die Kirche im 2. Vatikanischen Konzil in eine neue Zeit zu führen.

Lebenskunst
Donnerstag, 1.11.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Heilige sind oft stur, radikal, unbequem, sicher aber lebensnah und prophetisch. Sie haben immer mehr gesehen und gewagt, weil sie nicht nur vom Evangelium reden, sondern ihr ganzes Leben in die Waagschale werfen. Heilige dürfen auch widerborstig und widerständig sein, denn sie zeigen, dass die Kirche mehr ist als eine Werteagentur. Sie ist die Gemeinschaft der Heiligen, in die hinein der Mensch durch die Taufe gerufen wird.

„Die Heiligkeit ist das schönste Gesicht der Kirche“

Sagt Papst Franziskus, wenn er über die Berufung zur Heiligkeit aller Christen redet. Diese Berufung ist kein Elitenprogramm, keine gnadenlose Selbstperfektionierung. Heiligkeit meint nicht, in einer vermeintlichen Ekstase die Augen zu verdrehen, es geht vielmehr um die offenen Augen und um einen geerdeten Glauben. Heilige haben eine Ahnung von Gott und auch Zweifel an Gott, sie sind Dolmetscher der Barmherzigkeit Gottes und seiner Zuwendung zu allen Menschen, sie fühlen den Puls des Lebens und können die Zeichen der Zeit lesen. Menschen, die immer zuerst kritisieren, zerstören, missmutig sind, nur fremde Fehler sehen, keinen Sinn für Humor haben und keine Freude ausstrahlen, haben diesen Gott der Menschen, der allein der Heilige ist, schon verdrängt.

Die Seligpreisungen im Evangelium des heutigen Festes sind eigentlich der Personalausweis für alle Christen. So verstanden, möchte auch ich gerne ein Heiliger sein, ein Heiliger des Alltags. Viele, die vor uns gelebt haben und uns bereits im Tod vorausgegangen sind auf dem Weg zur Vollendung, bleiben über ihre irdische Lebenszeit hinaus Heilige, Wegweiser und Zeugen für Gott. An sie heute und morgen besonders zu denken und für sie zu beten, kann auch dein und mein Leben bereichern.