Bibelessay zu 1 Kön 17,10 - 16

Ein Mehltopf, der nicht leer wird und ein Ölkrug, der nicht versiegt: ein Wunder also? Wohl nur für die, die diesen Abschnitt ganz wörtlich nehmen.

Es handelt sich dabei aber selbstverständlich um keinen ‚Augenzeugen-Live-Bericht‘. Denn die Bibel, dieses Buch meines Berufs, meiner Berufung – die Bibel empfinde ich wie einen kostbaren Kristall, langsam und stetig wachsend, Schicht um Schicht. Durchscheinend die Lebens- und Glaubensgeschichten vieler Generationen. Aus dieser Perspektive sehe ich auch jene sechs Kapitel, die von Elijahu-ha-Nabi, vom Propheten Elija erzählen. Sie stehen im 1. und 2. Buch der Könige und sind erst Jahrhunderte später in ihre endgültige Form gebracht worden.

Josef Schultes
ist katholischer Theologe und Bibelwissenschaftler

Konflikt auf zwei Ebenen

Den ersten Teil davon nennen wir Fachleute „Dürrekomposition“. Ihr einleitender Satz lautet nämlich: „In diesen Jahren sollen weder Tau noch Regen fallen, es sei denn auf mein Wort hin“ (1 Kön 17,1b). Mit diesem harschen Spruch wird Elija vorgestellt. Er stammt aus Tischbe in Gilead; ein bergiges Gebiet, das heute zum Staat Jordanien gehört. Adressiert ist seine scharfe Drohung an Ahab, der im 9. Jhdt. v. Chr. im sogenannten Nordreich Israel regiert. Vor König Ahab muss sich Elija daher verstecken. Im Ostjordanland, am Bach Kerit ernähren ihn Raben, sie bringen ihm täglich Brot und Fleisch. Damit will der Erzähler sagen: Auch in der menschenleeren Einöde kümmert sich Gott rührend um seinen Propheten.

Die folgende zweite Szene wird in der Lesung an diesem Sonntag geschildert. Leider fehlt in der Perikope, die in den Messfeiern gelesen wird, aber der Anfang, in dem der Verfasser den göttlichen Auftrag betont: „Und es erging das Wort JHWHs an Elija: Mach dich auf und geh“ – kúm lék, nur zwei Worte im Hebräischen – „mach dich auf und geh nach Sarepta, das zu Sidon gehört, und bleib dort! Siehe, ich habe einer Witwe befohlen, dich zu versorgen“ (1 Kön 17,8f). Vom Ostjordanland wird Elija an die Mittelmeerküste geschickt, in den heutigen Süd-Libanon. Ins Ausland also, noch dazu nach Sidon in Phönizien. Denn von dort stammt Isebel, die Gattin König Ahabs. Kritisch heißt es dazu einige Verse vorher: „Ahab nahm Isebel, die Tochter Etbaals, des Königs der Sidonier, zur Frau, ging hin, diente dem Baal und warf sich vor ihm nieder“ (1 Kön 16,31b). Die beiden Ebenen des Konflikts sind damit klar: auf der unteren, menschlichen kämpft der Prophet Elija gegen das königliche Paar Isebel und Ahab. Und auf der oberen, himmlischen Ebene streiten sich zwei Gottheiten: JHWH gegen Baal.

Dürre-Situationen des Lebens

Baal: der wichtigste Gott im Raum Palästinas! Als sein Wohnort gilt Baal-Zaphon, ein Berg im Nordwesten von Syrien; nördlich von Ugarit, einst Handelsmetropole und Fundort des ältesten Alphabets der Welt. In einem Text aus Ugarit heißt es: „Und nun wird Baal die Zeit seines Regens festsetzen. Und er wird erschallen lassen seine Donnerstimme in den Wolken, indem er abschießt zur Erde seine Blitze.“ Ein Sturm- und Wettergott, der eng verbunden ist mit Vegetation und Fruchtbarkeit. Jeden Herbst stirbt Baal, in jedem Frühjahr lebt er wieder neu auf.

Lebenskunst
Sonntag, 11.11.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Sarepta bei Sidon in Phönizien: Das liegt eindeutig im Stammland des Baal! Doch dort herrschen Dürre und Trockenheit. Daher gibt es kein Öl, kein Mehl und somit auch kein Brot. Hilfe kommt also nicht von Baal, sondern von Elija und damit von JHWH. Nur er kann das Schicksal der Witwe und ihres Sohnes wenden! Faszinierend, wie die Geschichte von Elijas Wirken im Ausland erzählt wird. Und zugleich ermutigt der Verfasser damit Menschen in der Fremde, Dürre-Situationen ihres Lebens zu bestehen. „Der Mehltopf wird nicht leer werden und der Ölkrug nicht versiegen...“

Diese Lesung fällt auf den Gedenktag des hl. Martin: In meiner Pfarre in Klosterneuburg feiern wir am 11. November unseren Kirchenpatron. Denen, die Martin oder Martina heißen, wünsche ich alles Gute zum Namenstag – vor allem - weil dort ist er ja Landespatron - jenen im Burgenland!