Freundschaft des gegenseitigen Wohlergehens
Gedanken für den Tag 20.11.2018 zum Nachhören:
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Schleiermacher begann, die Nikomachische Ethik des Aristoteles ins Deutsche zu übersetzen. Bei der Gelegenheit verfasste er eine kleine Schrift: „Anmerkungen“ zu den Büchern 8 und 9 der Nikomachischen Ethik. Aristoteles entwirft dort das Ideal der „Freundschaft des gegenseitigen Wohlergehens“. Der gerade erst 20 Jahre alte Schleiermacher erweist sich in seinen Anmerkungen als ein bahnbrechender Denker der Moderne. Er geht von der unverwechselbaren Individualität jedes einzelnen Menschen aus, bindet sie aber an die Geselligkeit. Jede Beziehung ist eingebettet in die sozialen Verhältnisse. Die größte Herausforderung dieser menschlichen Grundbestimmung ist dann die Ungleichheit.
Michael Bünker
ist Bischof der evangelischen Kirche in Österreich
Das Weltganze wird sichtbar
Da wagte Schleiermacher ganz radikale Gedanken. Er meint: Je mehr jemand begünstigt ist, umso größer die Verpflichtung zur Hilfe. Und umgekehrt: Je größer die Benachteiligung, umso größer der Anspruch auf Hilfe. Diese Regel des Ausgleichs begründete Schleiermacher nun nicht moralisch, sondern mit der praktischen Vernunft. Beide, Begünstigte und Benachteiligte, seien doch aufeinander angewiesen. Erst im sozialen Engagement findet der Mensch ganz zu sich selbst.
Schleiermacher setzte dann auch noch einen religiösen Gedanken drauf: Durch dieses gemeinsame Aufeinander-Angewiesen-Sein wird die Verherrlichung Gottes gefördert, denn das Weltganze wird dadurch sichtbarer, Disharmonien und Unvollkommenheiten treten zurück. In unserer heutigen zunehmend polarisierten Gesellschaft, in der Solidarität und soziale Verantwortung bedroht sind, ist das brennend aktuell.
Musik:
Jorge Bolet/Klavier: „Rondo capriccioso für Klavier in E-Dur op. 14“ von Felix Mendelssohn Bartholdy
Label: Decca 4173612