Bibelessay zu Markus 13, 24 – 32

Fast alle religiösen Bewegungen, aber auch viele Menschen ohne religiöse Zugehörigkeit, erwarten einen Weltuntergang, eine radikale Umwälzung, einen vollkommenen Bruch mit den herrschenden Zuständen, eine Apokalypse.

Im Juden- und Christentum sind apokalyptische Strömungen über die Zeit immer wieder anzutreffen und meist verbunden mit einer traumatischen Erfahrung. Eine solche war auch die Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer im Jahre 70 n. Chr. Wahrscheinlich ist auch Markus 13 in Verbindung mit diesem Ereignis zu interpretieren. Markus schildert darin ein Szenario der Endzeit. Sonne, Mond und Sterne werden nicht mehr existieren, Himmel und Erde werden vergehen. Im Zusammenhang mit dem Aufstand gegen Rom, der mit der Tempelzerstörung endete, gab es nicht wenige Gruppen, die sich ein radikales Ende vorstellten, das einhergehen sollte mit einer Reinigung und völligen Neuschöpfung der Welt.

Gerhard Langer
ist katholischer Theologe und Judaist

Das Einsammeln der Getreuen

Markus lässt unter Anspielung auf frühere Texte wie den alttestamentlichen Propheten Daniel einen Menschensohn auftreten, der inmitten dieses gewaltigen Umbruchs die Auserwählten aus allen Gegenden der Welt sammelt. Dieser Menschensohn wurde in der jüdischen Tradition unterschiedlich gedeutet, als Erzengel Michael, als Henoch, als Engel Metatron, als Messiaskönig, in der christlichen Tradition ist es freilich Jesus, der mit dem Menschensohn identifiziert wird.

Das Einsammeln aller Getreuen ist ein Motiv, das sich in der jüdischen Auslegung zum Messias häufig findet. Er, der messianische Erlöser, wird die verstreuten Juden aus aller Welt zusammenführen und danach sein messianisches Reich errichten. Auch Markus lässt diese Zusammenführung geschehen und wechselt danach in ein Gleichnis von einem Feigenbaum, dessen Blüten saftig werden und den Sommer ankündigen.

Warnung und Mahnung

Nun fällt es schwer, im Zusammenhang mit dem Ende der Welt an den blühenden Sommer zu denken. Das Problem liegt in der Sprache. Denn im Hebräischen und Aramäischen, der Sprache Jesu, sind das Wort für Sommer und Ende eng verwandt. Der Sommer ist die Zeit der Ernte und damit Symbol für das Gericht am Ende. Aber worum es Markus vor allem geht ist, darauf hinzuweisen, dass es die ersten Zeichen sind, die das Kommende ankündigen. Ja, der Sommer naht, das Ende naht, aber es ist gleichzeitig noch nicht da.

Lebenskunst
Sonntag, 18.11.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Wichtig ist der letzte Satz. Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. Im Zuge extremer Naherwartung legt Markus die Bremse ein. Zwar sieht auch er die apokalyptische Endzeit bereits in der eigenen Generation sich vollenden, aber er wehrt sich gegen das Drängen auf das Ende, gegen einen fatalen Fanatismus, wie er gerade in den letzten Zeiten des Krieges gegen Rom verheerend war und immer wieder in der Geschichte zu beobachten ist.

Die Schilderung im Markusevangelium ist daher viel mehr eine Warnung und Mahnung als eine ohnehin sehr blasse Endzeitschilderung. Sie versucht, in einer schweren Krise und in einer aufgeheizten Stimmung Ruhe einkehren zu lassen und ist damit durchaus auch heute noch zeitgemäß.