Ein Traum und zwei Todesfälle

Zum 50. Todestag von Thomas Merton und Karl Barth. „Karl Barth hatte einen Traum über Mozart“: Mit diesem Satz beginnt die Auswahl von Tagebuchaufzeichnungen Thomas Mertons, die 1966 unter dem kryptischen Titel „Conjectures of a Guilty Bystander“, Mutmaßungen eines schuldigbewussten Zuschauers, erschienen ist.

Gedanken für den Tag 10.12.2018 zum Nachhören:

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Der US-amerikanische Trappistenmönch Thomas Merton schildert, wie der calvinistisch-reformierte Schweizer Theologieprofessor Karl Barth davon träumte, er habe Mozart im Fach dogmatische Theologie zu prüfen. Barth bemühte sich, das Examen so wohlwollend wie möglich zu gestalten und stellte deshalb nur Fragen zu Mozarts Messen. Mozart jedoch blieb stumm, er weigerte sich zu antworten.

Kurt Remele
ist Professor für Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz

Der himmlische Mozart

Merton bekennt, dass ihn Barths Traum tief bewegt habe und dass er ihm deshalb fast einen Brief geschrieben hätte. Er erwähnt, dass Karl Barth jeden Morgen, bevor er sich an seine theologische Arbeit setzte, Musik von Mozart anhörte. Diese Musik war für Barth „ein Gleichnis des Himmels“. In Mozarts Klangwelt offenbarte sich Barth ein Kind, ja ein „göttliches Kind“. Merton greift dieses Bild auf und ruft dem großen Schweizer Theologen zu: „Hab keine Angst, Karl Barth! … Christus (bleibt) ein Kind in Dir. Deine Bücher (und auch meine) sind von geringerer Bedeutung als wir glauben. Es gibt aber einen Mozart in uns, der uns retten wird.“

Zwischen Thomas Merton und Karl Barth gibt es zahlreiche Gemeinsamkeiten, aber auch beträchtliche Unterschiede. Beide starben am selben Tag, dem 10. Dezember 1968, heute vor genau 50 Jahren. Der 82-jährige Barth ist in seinem Haus in Basel sanft entschlafen. Merton dagegen kam im Alter von 53 Jahren durch einen Unfall mit einem schadhaften Ventilator ums Leben, kurz nachdem er auf einer Tagung von Ordensleuten in Bangkok einen Vortrag gehalten hatte. Ich vermute, dass Merton und Barth am 10. Dezember 1968 gemeinsam dem himmlischen Mozart begegnet sind.

Musik:

Itzhak Perlman/Violine und Wiener Philharmoniker unter der Leitung von James Levine: „Allegro (Kadenz Sam Franko) - 1. Satz“ aus: Konzert für Violine und Orchester Nr. 3 in G-Dur KV 216 von Wolfgang Amadeus MOZART
Label: DG 4100202