Bibelessay zu Lukas 1, 39 – 45

Das Ave Maria ist jenes Grundgebets der katholischen Kirche, das seit dem 11. Jh. in Andachten und im Stundengebet gesprochen wird und sich als Teil des Rosenkranzgebetes bis heute großer Beliebtheit erfreut. Darin findet sich die in diesem Evangelium vorkommende prophetische Rede der Elisabet an Maria.

„Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade,
der Herr ist mit dir.
Du bist gebenedeit unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus“.

Gerhard Langer
ist katholischer Theologe und Judaist

Eine Welt, in der Gerechtigkeit herrscht

Zwei Frauen treffen hier aufeinander, deren Schicksal eng verzahnt ist. Elisabet ist eine Frau aus priesterlichem Geschlecht, die lange unfruchtbar war. Doch der Engel Gabriel sagt die Geburt eines Sohnes zu, wie er auch Maria, der Jungfrau, einen Sohn ankündigt. Beide Male, bei Elisabet und bei Maria, hat also der Himmel, die göttliche Macht, ihre Hände im Spiel. Beide Kinder verweisen auf etwa Höheres, Größeres. Elisabets Sohn Johannes wird als Täufer und prophetischer Mahner durch das Land ziehen, und am Jordan nach biblischem Befund schließlich Jesus taufen und sich ihm unterstellen. Johannes wird durch eine politische Intrige ums Leben kommen, Jesus am Kreuz sterben.

Lebenskunst
Sonntag, 23.12.2018, 7.05 Uhr, Ö1

Für die neutestamentlichen Autoren wird Johannes gerade an der heute gelesenen Stelle als Vorläufer des Messias gedeutet. Dabei spielt man ganz klar auf den Text des alttestamentlichen Propheten Maleachi an, in dem es u.a. über einen endzeitlichen Gerichtstag heißt: „Denn seht, der Tag kommt, er brennt wie ein Ofen: Da werden alle Überheblichen und alle Frevler zu Spreu und der Tag, der kommt, wird sie verbrennen, spricht der HERR der Heerscharen. Weder Wurzel noch Zweig wird ihnen dann bleiben. Für euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen und ihre Flügel bringen Heilung. Ihr werdet hinausgehen und Freudensprünge machen wie Kälber, die aus dem Stall kommen. Bevor aber der Tag des HERRN kommt, der große und furchtbare Tag, seht, da sende ich zu euch den Propheten Elija. Er wird das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden und das Herz der Söhne ihren Vätern, damit ich nicht komme und das Land schlage mit Bann.“

Das Kind, jener kleine Johannes, der im Mutterleib der Elisabet strampelt und Freudensprünge macht, als es der mit Jesus schwangeren Maria gewahr wird, ist niemand anderer als der wiedergekommene Elia. Jesus wiederum wird mit der Sonne der Gerechtigkeit identifiziert, mit dem Messias, der die Gerechtigkeit wieder in Kraft setzt, die im Land nicht mehr zu spüren war. Noch bevor Jesus geboren wird, macht der Evangelist Lukas damit klar, dass man sich am Ende der Zeit befindet, an einem Wendepunkt. Mit der Geburt Jesu bricht eine neue, messianische Ära an. Ihr Ziel ist jedoch nicht ein utopisches Schlaraffenland, sondern eine Welt, in der Gerechtigkeit herrscht und in der die Beziehungen zwischen den Menschen wieder im Lot sind. Und genau das ist es, was auch ich mir zu diesen Weihnachten wünsche.