Opfer - Urakt der Religion

Kaum jemand, der von Verkehrsopfern, Kriegsopfern oder den Opfern von Katastrophen spricht, denkt dabei an Religion. Aber das Opfer ist wahrscheinlich die älteste Form der religiösen Handlung, ein Urakt der Religion.

Gedanken für den Tag 17.1.2019 zum Nachhören:

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Auch die Bibel berichtet auf ihren ersten Seiten von einem Opfer. Die meisten Menschen unseres Kulturraums kennen die Geschichte von Kain und Abel. Es ist auffällig, dass über den ersten Mord im Zusammenhang mit einem Opfer erzählt wird. Im Judentum und im Christentum spielen Opfer eine zentrale Rolle.

Franz Josef Weißenböck
ist katholischer Theologe und Autor

Neue Deutungen

Das Christentum aber hat die Idee des Opfers ins Zentrum gerückt und überhöht wie nie zuvor und nirgends sonst. Hier das christliche Narrativ in einer Kurzform: Durch ihre Sünde haben die ersten Menschen Gott so sehr beleidigt, dass es zu seiner Versöhnung des blutigen Todes des Gottessohns bedurfte. Ein Opfer jenseits aller Maße und Vorstellungen! Mittelalterliche Theologie hat mit den Mitteln der Logik zu erklären versucht, warum es dieses furchtbaren Opfers bedurfte.

Die Vorstellung, dass Gott den Martertod seines Sohnes mit Wohlgefallen angesehen hat, ist monströs, ja blasphemisch. Kein irdischer Vater könnte durch den Martertod des eigenen Kindes „versöhnt“ werden. Es ist zu bezweifeln, dass solche Vorstellungen Menschen von heute noch einleuchten. Ja, noch mehr: Es ist zu hoffen, dass sie derart grausame und grausige Vorstellungen von Gott und den Menschen mit Entschiedenheit ablehnen. Ich halte es mit Theodor Weißenborn, von dem die folgenden Zeilen stammen:

„Seit er meinen Bruder kreuzigen ließ
um sich mit mir zu versöhnen
weiß ich, was ich von meinem Vater zu halten habe“.

Ich denke, es ist längst an der Zeit, dass die Theologie neue Deutungen versucht.

Musik:

Sinead O’Connor: „Sacrifice“ von Elton John und Bernie Taupin
Label: Mercury 8457492