Die vier Söhne des Dr. Max Linde

Vier Kinder in einem hellen Innenraum. Genauer gesagt: vier Buben, die nahezu frontal zur Bildebene stehen. Keine Dramatik, keine aufwühlenden Farben, keine große Geschichte. Auch kein Hinweis auf ein nahendes Fest oder einen ungewöhnlichen Anlass. Dennoch ist dieses ziemlich große Ölgemälde ausgesprochen spannend und motiviert mich, es immer wieder zu betrachten.

Gedanken für den Tag 24.1.2019 zum Nachhören:

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Gemalt hat es Edvard Munch im Jahr 1903. Es trägt den Titel „Die vier Söhne des Dr. Max Linde“ und befindet sich in Lübeck. Denn dort hatte ein wohlhabender und kunstsinniger Arzt bereits Anfang des vorigen Jahrhunderts erkannt, welche Ausdruckskraft und Kreativität in Edvard Munch steckte. Nach ersten Treffen entwickelte sich eine Freundschaft, die den Maler immer wieder in die Hansestadt führte und zu zahlreichen Arbeiten inspirierte.

Johanna Schwanberg
ist Kunstwissenschaftlerin und Direktorin des Dom Museum Wien

Kunstvoll komponiert

Ich mag dieses Gemälde, weil es so fein und sensibel ist. Und weil die Farben so reduziert und zart sind. Das Bild beschränkt sich auf Weiß- und Ockertöne. Lediglich die Kinder sind in verschiedenen dunkleren Blautönen gemalt und heben sich von dem hellen Hintergrund ab.

Es überrascht mich immer wieder aufs Neue, wie positiv und lebensfroh die Wirkung dieses Gemäldes im Vergleich zu anderen Werken des norwegischen Malers ist. Offenbar haben sich die Buben in ihrer kindlichen Lebendigkeit in das Bild eingeschrieben und den sonst in Munchs Schaffen so präsenten Schmerz in den Hintergrund gedrängt.

Besonders überzeugend finde ich den Inhalt dieses Bildes, das als eines der bedeutendsten Gruppenbildnisse des 20. Jahrhunderts gilt. Denn es zeigt, wie prägend familiäre Beziehungen für unser Leben sind. Munch stellt hier Geschwister dar, die überraschenderweise nicht miteinander spielen oder gemeinsam einer anderen Tätigkeit nachgehen.

Vielmehr stehen die Buben kunstvoll komponiert im Raum, scheinen jeder für sich zu sein. Keiner dominiert den anderen. Alle vier haben einen unterschiedlichen Gesichtsausdruck, sind unverwechselbare Individuen. Und dennoch wirken sie auch ohne physische Berührung miteinander verbunden. So als gäbe es unsichtbare Bande, die zwischen den Brüdern gespannt sind.

Musik:

Lynn Harrell/Violoncello und Cleveland Orchestra unter der Leitung von Lorin Maazel: „Adagio - 3. Satz“ aus: Konzert für Violoncello und Orchester in e-moll op. 85 von Edward Elgar
Label: London 4213852