Der Kranke - ein wundersames Wesen

Als Tochter zweier Ärzte gehörten Patienten für mich immer schon zum Familienalltag. Mein Vater war für seine Patienten so gut wie 24 Stunden erreichbar. Da kam es schon manchmal vor, dass das Telefon auch am Wochenende läutete und ich, als damals 14-Jährige, den Hörer abhob.

Gedanken für den Tag 4.2.2019 zum Nachhören:

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Eine ältere Dame, offenbar Patientin, fragte, ob der Herr Doktor zu sprechen sei. Es sei nämlich so – und schon ging es los: Sie erzählte mir – einem Teenager – ihre ganze Krankengeschichte, hustete variantenreich in den Telefonhörer, demonstrierte mir akustisch ihre Atembeschwerden und teilte mit mir ihre Bedenken, ob sie ihre Medikamente wohl richtig eingenommen hatte… Ich hatte keine Chance, sie zu unterbrechen. Ganz zum Schluss rief ich dann doch: „Aber ich bin ja nur die Tochter vom Herrn Doktor!“ „Ach so“, meinte sie. „Na ja, macht ja nichts - jetzt wissen Sie ja, was mir fehlt und vielleicht kann mich der Herr Papa noch heute zurückrufen.“ Sie schien gar nicht so enttäuscht, wie ich dachte. Die Kranke konnte von ihren Sorgen erzählen – und es gab jemanden, der ihr zuhörte. Das war offenbar schon viel wert gewesen.

Susanne Kummer
ist Bioethikerin

Heilsame Kommunikation

Der Kranke ist ein wundersames Wesen. Patiens heißt auf Lateinisch: leidend sein. Wer also leidet, braucht zunächst einmal ein geduldiges Ohr, jemanden, der oder die bereit ist zuzuhören, mit dem das Leid geteilt werden kann. Am 11. Februar wird in der katholischen Kirche der Welttag der Kranken begangen. Er wurde 1993 von Papst Johannes Paul II. ins Leben gerufen, um die kranken und bedürftigen Menschen weltweit in den Mittelpunkt zu stellen.

Auch Ärzte und Ärztinnen müssen das Zuhören neu erlernen: Studien zufolge unterbrechen sie bereits nach 15 Sekunden ihre Patienten zum ersten Mal. Die teuerste Medizin ist die, die nicht zuhört. Natürlich gibt es dieses Zeitproblem: Doch eine achtsame Kommunikation mit Empathie und einer heilsamen Sprache erfordert nicht mehr Zeit als ein schlechtes Gespräch.

Asklepios, der griechische Gott der Heilkunst, wusste: „Als Erstes heile mit dem Wort, dann mit der Arznei, zuletzt mit dem Messer.“ Nicht minder zeitlos formuliert der Kardiologe und Friedensnobelpreisträger Bernard Lawn, wenn er sagt: „Zuhören können ist das komplizierteste und schwierigste aller Instrumente im Repertoire eines Arztes.“ Ich bin überzeugt davon, eine heilsame Kommunikation ist erlernbar – und sie beginnt damit: ganz Ohr zu sein.

Musik:

Christian Zacharias/Klavier: „Andante - 2. Satz“ aus: Sonate für Klavier Nr. 1 in C-Dur KV 279 (189d) von Wolfgang Amadeus Mozart
Label: EMI 7476802