Bibelessay zu 1. Korintherbrief 1, 4 – 9

Die Stadt Korinth war etwa 100 Jahre alt, als Paulus dort im Jahr 50 und 51 lebte und missionierte. Seit Paulus die Gemeinde in Korinth verlassen hatte waren viele Missstände eingerissen, die ihm nicht gefielen.

Die Brüder und Schwestern dort verhielten sich in vielen Punkten keineswegs nach seinen Vorstellungen von gelungenem Christsein. Streitereien und überhebliches Verhalten führten zu Rücksichtslosigkeit und Lieblosigkeit. Die wohlhabende Minderheit in der Gemeinde achtete nicht auf die Bedürfnisse der Ärmeren. Soziale Gegensätze waren besonders in der Gemeindeversammlung und bei der Feier des Abendmahls zu spüren.

Ingrid Bachler
ist Oberkirchenrätin der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich

Paulus sieht das Positive

Was schreibt Paulus der Gemeinde in Korinth? Wie spricht er die Konflikte an? Er beginnt seinen Brief mit einem überschwänglichen Dank und Lob für die Gemeinde. Wenige Sätze später kommt er zum Eigentlichen. Verschiedene Gruppen haben sich gegründet und streiten, wer das Christsein besser verstanden hat. Paulus will ihnen Orientierung geben mit einem klaren Blick auf die wesentlichen Punkte des Glaubens. Und, wie meist in seinen Briefen, schließt er am Ende sehr versöhnlich: „Alles, was ihr tut, geschehe in der Liebe“, lässt er sie wissen.

Auffällig ist, dass sich der Dank in der Brieferöffnung nicht an die Korintherinnen und Korinther richtet, sondern an Gott. Paulus dankt Gott für die vielen guten Seiten, die er bei den Menschen in der Gemeinde vorgefunden hat. Er sieht das Positive, die Möglichkeiten und Chancen, ohne die klärenden Worte anschließend vermissen zu lassen.

Kann man das Danken verlernen?

Gemeinsam mit dem Korinth von damals ist uns, dass wir heute, weltweit gesehen, in einer unruhigen Zeit leben. Es gibt soziale und politische Spannungen, aber auch sehr viel Schönes und Wertvolles. Wo bleibt unser Dank?

Lebenskunst
Sonntag, 3.2.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Das heutige Bibel-Wort noch am Anfang des Jahres - erinnert mich an die Gelegenheit, Gott zu danken. Wer nicht mehr „Danke“ sagen kann, hat etwas Wesentliches verloren. Kann man das Danken verlernen? Manchmal scheint mir das so. Dann kommt es mir vor, als ob uns vieles selbstverständlich geworden wäre.

Nachdenken über die Welt

Demokratische Strukturen, ein gemütliches Heim, genug zu Essen, sauberes Wasser, Kleidung und Gesundheit sind für viele normal. In kritischen Situationen, wie etwa dem starken Schneefall in den vergangenen Wochen, im heurigen Winter, habe ich viel gegenseitige Hilfsbereitschaft gesehen. Wir sind beschenkt und viele haben mehr als sie brauchen. Das ist nicht selbstverständlich.

Ich glaube, wer alles als selbstverständlich ansieht, verlernt mit der Zeit „Danke“ zu sagen. Das Danken hat seinen Ausgangspunkt im Nachdenken über die Welt. Danken und Denken, Gedenken und Gedächtnis klingen nicht nur ähnlich, sie sind auch eng miteinander verwandt. Sie entstammen der gleichen Wortfamilie. Dankbarkeit ist also eine Folge des Denkens. So auch beim Apostel Paulus. Er sagt: „Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus.“

Sensibel für die Not der anderen

Leicht ist es, dankbar zu sein, wenn alles gut geht. Wenn mich liebe Menschen begleiten oder ich mich über ein Geschenk besonders freue. Aber wie geht es Menschen, die mit Krankheit, Trauer, Leid und Tod fertig werden müssen? Was ist, wenn ich nicht dankbar sein kann, sondern vielmehr Wut und Trauer empfinde – auch gegenüber Gott?

Dankbar zu sein und Gott zu danken, heißt für mich, mir der Verheißung bewusst zu werden, dass ich niemals aus den Händen Gottes fallen kann. Ganz gleich, was geschieht. Wer dankt, denkt weiter, er ruht sich nicht auf dem aus, was er bekommen hat. Er wird sensibel für die Not der anderen. Der schönste Dank ist, wenn ich trotz unterschiedlicher Ansichten zu meinem Gegenüber sagen kann: „Ich danke Gott, dass es dich gibt.“