Ich brauche, dass du da bist

Endlich hat der Kranke nach langem Wälzen seine optimale Liegeposition gefunden, seine Bettdecke so zurechtgerafft, wie sie am wenigsten stört, aber doch wärmt.

Gedanken für den Tag 8.2.2019 zum Nachhören:

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Erschöpft von so viel liegender Tätigkeit macht er sich bereit für ein kleines Nickerchen. Da klopft es an der Zimmertür. Und schon beginnt eine Geschäftigkeit, die den Kranken leicht schwindlig macht: Der eine zupft am Polster, „ob man den nicht aufschütteln soll“, der nächste läuft herum und sucht eine Vase, die dritte reißt das Fenster auf, „man muss ja hier wirklich lüften“.

Susanne Kummer
ist Bioethikerin

Was brauchen Kranke wirklich? Bevor ich das Zimmer eines Kranken betrete, bleibe ich kurz stehen. Leise anklopfen, sich sozusagen auf Zehenspitzen nähern, sich zurücknehmen. Die Zeit am Bett des Kranken ist das kostbarste Coaching, um zu lernen, einfach da zu sein - und hineinzuhören, was der andere denn nun wirklich braucht: Aufmunterung – oder Ruhe, Reden – oder Schweigen. Dem Kranken darf man auch nicht alles abnehmen! Ihm Zeit geben, statt es für ihn machen, auch wenn er die Dinge auf eine neue, langsame Weise tut. Wie schwer fällt uns doch das Warten.

Die Tragflügel verbreitern

Was der Umgang mit kranken Menschen lehrt, lässt sich leicht übertragen auf das, was jeder braucht: In der Krankheit sind Menschen verwundbarer, vielleicht auch anstrengender für ihre Umwelt mit all ihren besonderen Bedürfnissen. Sie brauchen Nachsicht und Milde – beim Gewähren dieser Freundlichkeiten braucht der Gesunde gute Nerven und Geduld.

In Wahrheit verdichtet sich im Umgang mit dem Kranken nur das, was das Leben auch sonst schön macht: Dass man ernst genommen wird, dass einem jemand Mut zuspricht. Und dass dieser vielleicht bewusst den Verzicht übt, die Lebensprobleme der anderen lösen zu wollen. Gutgemeinte Rat-Schläge sind für Kranke eben oft auch nur Schläge. „Brauchst du etwas?“ „Ich brauche nicht etwas, ich brauche, dass du da bist.“

Der Mainzer Klinikseelsorger Erhard Weiher fasste das in einem wunderbaren Gedanken zusammen: Wir können die Krankheit nicht beseitigen, wohl aber können wir die ‚Tragflügel‘ verbreitern, mit denen Menschen ihrem Schicksal begegnen können.

Musik:

Murray Perahia/Klavier und English Chamber Orchestra unter der Leitung von Murray Perahia: „Andante - 2. Satz“ aus: Konzert für Klavier und Streicher in D-Dur KV 107 Nr. 1 von Wolfgang Amadeus Mozart und Johann Christian Bach
Label: CBS 39222