Bibelessay zu Jesaja 6, 1 - 2a; 3 – 8

Jesaja ist mein Lieblingsprophet! Und seine Berufungsvision finde ich faszinierend erzählt. Jeschajahu lautet sein voller Name in der hebräischen Bibel, er bedeutet „Erlösung, Hilfe ist der Herr“. Und er steht für das Lebensprogramm eines Mannes, der sich 40 Jahre lang engagiert. Für Gott und für die Menschen.

König und Adel von Jerusalem gehen nämlich in die Knie, nicht vor Gott, dem Herrn, sondern vor der Großmacht Assyrien. Damals, im 8. Jahrhundert vor Christus.

Josef Schultes
ist Bibelwissenschaftler und Religionspädagoge

„Hier bin ich, sende mich!“

Fünf Worte, aus Jesajas Mund und Herzen. Gesprochen von einem, der am Wendepunkt seines Lebens steht. Die Vulgata, die lateinische Version der Bibel, braucht vier Worte für sein betroffenes Bereitsein: Ecce ego, mitte me! „Hier bin ich, sende mich!“ Im hebräischen Original: Hinéni schelachéni! Nur zwei kurze Worte für die Erschütterung Jesajas. Er folgt damit einem Ruf, der keine Wahl lässt. Er spricht ein absolutes Ja, das einen Auftrag erwartet.

„Hier bin ich, sende mich!“ Damit endet der Lesungstext von diesem Sonntag. Leider aber genau zwei Verse zu früh; denn der Auftrag Gottes an seinen Propheten – der fehlt! Dieser Auftrag klingt im ersten Moment jedoch verstörend, fast widersinnig. Denn unmittelbar nach der Berufung des Propheten wird dessen Scheitern erzählt; vielleicht erst von Schülern so formuliert oder von späteren Redaktoren hier eingefügt. Ein Scheitern nicht als Schuld Jesajas, sondern als Wille des Herrn. Der Auftrag Gottes an seinen Propheten klingt hart und herausfordernd: „Und der Herr sagte: Geh und sag diesem Volk: Hören sollt ihr, hören, aber nicht verstehen. Sehen sollt ihr, sehen, aber nicht erkennen. Verfette das Herz dieses Volkes, mach schwerhörig seine Ohren, verkleb seine Augen, damit es mit seinen Augen nicht sieht, mit seinen Ohren nicht hört, dass sein Herz nicht zur Einsicht kommt und es nicht umkehrt und Heilung für sich findet“ (Jes 6,9-10).

Begegnung mit dem lebendigen Gott

Soweit der Wortlaut der beiden mir wichtigen Verse. Denn Erfolg ist keine Vokabel in Jesajas Bilanz als Prophet. Was er im Namen Gottes einfordert, stößt auf blinde Augen, auf taube Ohren, auf verstockte Herzen. Wozu er permanent aufruft, das ist die Umkehr, hebräisch Teschubá. Umkehr – zentrale Botschaft aller Propheten, ihr drängendes „Herzwort“. Die Septuaginta, die griechische Version der Bibel, übersetzt es mit Metánoia: Um-Denken, Um-Wandlung, Neu-Werden.

Lebenskunst
Sonntag, 10.2.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Denk um, werde neu: Das gilt auch für Jesaja selbst. Er ist der erste, von dem eine Berufungs-Erzählung in Ich-Form überliefert wird. Wer immer diese ekstatische Vision bzw. Audition in Worte zu fassen gesucht hat: Sie ist mehr als biografische Notiz oder theologisches Protokoll. Sie führt in die Mitte prophetischer Existenz, die Begegnung mit dem lebendigen Gott. Seine Präsenz ist einfach überwältigend, allein der Saum seines Gewands sprengt schon alle Dimensionen. Der Ruf der Serafim – ob „kadósch“, „hágios“, „sanctus“, also „heilig“ – dieser dreifache Ruf wird in jeder Eucharistiefeier erinnert, gebetet, gesungen.

Reinigung der Lippen

Erschrecken ist die verständliche Reaktion Jesajas auf das Erleben des unsagbar anderen Gottes. „Weh mir, ich bin verloren! Als Mann unreiner Lippen: den König, Adonai Zebaoth, haben gesehen meine Augen.“ Die Reinigung seiner Lippen mit glühender Kohle: Der Ritus soll zeigen, wie der Herr ein Geschöpf, einen Verkünder würdig und fähig macht für seinen Dienst. Dann erst kann der Prophet diesem An-Spruch gerecht werden, soweit dies einem Menschen überhaupt möglich ist.

„Hier bin ich, sende mich!“ Viele meiner Studentinnen haben es gesagt, bereit, als Religionslehrerinnen ihren Glauben mit Kindern zu teilen. „Adsum, hier bin ich“: Meine Priesterfreunde haben es bei ihrer Weihe gesprochen, ja versprochen. Und auch ich selber bin meiner Berufung gefolgt. Ohne Vision, aber mit tiefer Freude an meinem Bibel-Beruf: „Hier bin ich, sende mich. Ich will dein Wort verkünden!“