Unter allen Sternen

„Ich habe dich gewählt unter allen Sternen“ – das ist einer der Sätze aus den Liebesgedichten von Else Lasker-Schüler, die man nicht mehr so schnell loswird.

Gedanken für den Tag 14.2.2019 zum Nachhören:

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Ein Satz, der einen glücklich macht, wenn es jemanden gibt, dem man ihn sagen möchte. Und ein wichtiger Satz in ihrer Lyrik, weil es viele Liebesgedichte von Else Lasker-Schüler gibt, wo die Erfahrung, geliebt zu werden und also gewählt worden zu sein, dominiert. Aber auf diese traditionell weibliche Rolle ist sie eben ganz gewiss nicht festzulegen.

Cornelius Hell
ist Literaturkritiker und Übersetzer

„Ich habe dich gewählt unter allen Sternen“ – das ist auch kein auftrumpfender Satz, keiner, der als Besitz-Markierung in die Öffentlichkeit hinausposaunt wird, denn das Gedicht, das mit diesem Satz beginnt und endet, heißt „Heimlich zur Nacht“:

Heimlich zur Nacht

Ich habe dich gewählt
Unter allen Sternen
Und bin wach - eine lauschende Blume
Im summenden Laub.
Unsere Lippen wollen Honig bereiten,
Unsere schimmernden Nächte sind aufgeblüht.
An dem seligen Glanz deines Leibes
Zündet mein Herz seine Himmel an –
Alle meine Träume hängen an deinem Golde,
Ich habe dich gewählt unter allen Sternen.

Die Sterne und wieder der Himmel – Liebeserfahrung, Naturbilder und religiöse Sprache überlagern sich in diesem Gedicht: „An dem seligen Glanz deines Leibes / Zündet mein Herz seine Himmel an“. Die Verse von Else Lasker-Schüler sind ganz einzigartig und unverwechselbar, aber sie atmen auch den Geist des biblischen Hoheliedes, einer Sammlung von Liebesliedern, die immer auch als Hymnen einer Gotteserfahrung verstanden wurde.

Das Faszinierende an der Poesie von Else Lasker-Schüler ist, dass sie mit den religiösen Bildern kreativ umgeht und nie vorgegebene Formulierungen einrasten lässt. „An dem seligen Glanz deines Leibes / Zündet mein Herz seine Himmel an“ – in diesem Satz schwingt ja auch mit, dass es nicht nur einen Himmel gibt und dass das Herz seinen eigenen Himmel entzündet.

Buchhinweis:

Cornelius Hell, „Ohne Lesen wäre das Leben ein Irrtum. Streifzüge durch die Literatur von Meister Eckhart bis Elfriede Gerstl“, Verlag Sonderzahl (ab März 2019)

Musik:

Jennifer Stinton/Flöte und Scott Mitchell/Klavier: „Cantilena - 2. Satz“ aus: Sonate für Flöte und Klavier von Francis Poulenc
Label: Collins 11032