Die Entdeckung des Anderen

Zum 50. Todestag von Karl Jaspers: Nietzsche und Kierkegaard sind für den Existenzphilosophen Karl Jaspers jene beiden Denker, die einschneidend sind, Denker, an denen kein moderner denkender Mensch vorbeikommt.

Gedanken für den Tag 27.2.2019 zum Nachhören (bis 26.2.2020):

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Sie haben die religiösen Gewissheiten erschüttert und zugleich jene Dimension des Menschlichen freigelegt, auf die sie sich bezogen. Der moderne Mensch, der Gott philosophisch erschüttert, ist verwaist, entblößt und einsam.

Wolfgang Müller-Funk
ist Literatur- und Kulturwissenschaftler

Wahrheit im gemeinsamen Raum

Die Krise des Humanismus, die in den Katastrophen des 20. Jahrhunderts auf so eindrückliche wie schreckliche Weise zutage getreten ist, hat mit dem Tod Gottes zu tun. Fast scheint es so, als ob die Philosophie, die eine der persönlichen wie politischen Existenz ist, die Erbschaft der biblischen Religion angetreten hat, ohne freilich jene Gewissheit anbieten zu können wie einstmals die Religion. Zur Einsamkeit gesellt sich eine Pluralität, die ihre Verbindlichkeit nicht mehr aus einer unumstößlichen Wahrheit zu ziehen vermag. Um diesen Befund kreist Jaspers Suche nach einer neuen Humanität, man könnte auch sagen nach einem Posthumanismus, der nicht einfach falsch-nostalgisch auf den ja selbst nicht unproblematischen Humanismus zurückgreift, der ein beschönigendes Bild der Menschen enthält.

Wahrheit und Freiheit sind für Jaspers untrennbar verbunden, aber sie bedürfen eines dritten, der Hinwendung zum Anderen. Wahrheit benötigt einen gemeinsamen Raum, und in dieser Gemeinsamkeit steckt die Möglichkeit eines friedfertigen Miteinanders im Lebensvollzug wie in der Polis: Jaspers zufolge hört Wahrheit auf „in der Vereinzelung trotzigen Soseins und Sowollens, mit der Blindheit der Seele und der Taubheit des Geistes, mit dem Abbruch der Kommunikation.“

Musik:

Klaus Trumpf/Kontrabaß und Klaus Kirbach/Klavier: „Vocalise op. 34 Nr. 14“ von Sergej Rachmaninoff
Label: Ars vivendi 210059